09 - Old Surehand III
wieder auf dem Stuhl, auf welchem mich die Kugel des Medizinmannes hatte treffen sollen. Die Gemüter hatten sich noch nicht beruhigt, und der Zwischenfall wurde mit, ich möchte sagen, urwüchsiger Lebhaftigkeit besprochen. Das größte Interesse für das unerwartete Auftreten von Tibo taka und Tibo wete mußte natürlich Apanatschka haben, der beide für seine Eltern gehalten hatte und trotz meiner Widerlegung wohl auch jetzt noch hielt. Außer Winnetou und mir sprach man von allen Seiten auf ihn ein, doch ohne eine andere Antwort als ein stilles Kopfschütteln von ihm zu hören. Mir und dem Häuptling der Apachen war das sehr verständlich. Was hätte er auch antworten und sagen sollen! Wir waren alle auf das Tibo-Paar nicht gut gesinnt; er konnte sie weder verteidigen, noch lagen für ihn die nötigen Beweise vor, sich von ihnen loszusagen; also konnte er nichts anderes und Besseres tun als schweigen, und das tat er denn auch gründlich.
Die andern ergingen sich in hunderterlei Vermutungen über den Ritt des Medizinmannes und seiner Frau hierher nach Kansas. Sie tauschten ihre Meinungen aus über den Grund, den Zweck und das Ziel dieses Rittes; natürlich traf niemand das Richtige. Es machte Winnetou und mir Spaß, zu sehen und zu hören, wie sie ihren Scharfsinn anstrengten und sich miteinander stritten und dabei einer den andern auf den Irrweg führen wollte, auf dem er sich selbst befand. Wir hielten es für notwendig, sie so weit aufzuklären, wie wir selbst es waren, und so mußten sie sich endlich mit unserer Versicherung begnügen, daß wir morgen dem Medizinmann folgen und also bald Aufklärung bekommen würden über alles, was uns heut noch unklar sei.
Da wir frühzeitig fort wollten, wurden in der Stube die Lager für uns bereitet. Ich traute Tibo taka doch nicht recht; es war immerhin möglich, daß er auf den Gedanken kam, während der Nacht zurückzukehren und irgend etwas für uns Schädliches auszuführen. Darum wollte ich den Postendienst unter uns heute in derselben Weise ausgeführt wissen, wie er gebräuchlich war, wenn wir des Nachts im Freien kampierten; Harbour aber sträubte sich dagegen und sagte:
„Nein, Sir, das dulde ich nicht. Ihr seid unterwegs und wißt nicht, was Euch begegnen kann. Es kann sein, daß Ihr eine ganze Reihe von Nächten nicht ruhig schlafen könnt; schlaft Euch also heut hier bei mir tüchtig aus! Ich habe Cowboys und Peons, welche den Wachtdienst sehr gern für die große Ehre, Euch gesehen zu haben, übernehmen werden.“
„Wir sind Euch natürlich sehr dankbar für dieses Anerbieten, Mr. Harbour“, antwortete ich. „Wir nehmen es an, doch unter der Voraussetzung, daß diese Leute ihrer Aufgabe nicht lässig, sondern so obliegen, wie unsere Lage es erfordert.“
„Das ist doch ganz selbstverständlich. Wir wohnen und leben hier in einer Art von Halbwildnis und sind es also gewohnt, aufmerksam zu sein. Übrigens handelt es sich ja nur um einen einzigen Menschen, der noch dazu aus Angst vor Euch heimlich ausgerissen ist; seine Squaw ist gar nicht zu rechnen; dem würden meine Leute, falls er so frech wäre, zurückzukehren, das Fell so aushauen, daß kein Gerber noch Arbeit daran finden würde. Ihr könnt Euch also ruhig schlafen lagen.“
Das taten wir denn auch; vorher aber ging ich noch einmal hinaus nach dem Korral, um nach den Pferden zu sehen.
Der Farmer hatte ja wohl nicht unrecht; es handelte sich nur um den Medizinmann, der übrigens auch schon durch die Anwesenheit seiner Frau verhindert wurde, etwas gegen uns auszuführen; aber es lag eine Unruhe in mir, die mich am Einschlafen hinderte. Es drängte sich mir wieder und immer wieder der Vergleich des heutigen Tages mit dem Tag auf Fenners Farm auf, und ich kam dabei wieder und immer wieder auf den Gedanken: nun fehlt bloß noch ein Überfall!
So kam es, daß ich spät einschlief und dann von einem quälenden Traum, dessen Inhalt mir heut nicht mehr erinnerlich ist, so beängstigt wurde, daß ich froh war, als ich bald wieder aufwachte. Ich stand auf und ging leise, um keinen der Schläfer zu wecken, hinaus. Die Sterne schienen; man konnte ziemlich weit sehen. Ich ging wieder nach dem Korral, in welchem zwei Peons die Wache hatten.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte ich, als ich die Gattertür hinter mir wieder zugezogen hatte.
„Ja.“ wurde mir geantwortet.
„Hm! Mein und Winnetous Rappe pflegen des Nachts zu liegen; jetzt stehen sie; das gefällt mir nicht.“
„Sie sind eben erst
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