09 - Old Surehand III
aufgestanden, wohl weil Ihr gekommen seid.“
„Deshalb gewiß nicht. Wollen einmal sehen!“
Ich ging zu den beiden Pferden. Sie hielten die Köpfe nach dem Haus gerichtet; ihre Augen leuchteten beunruhigend, und nun sie mich kommen sahen, schnaubten beide. Das war eine Wirkung ihrer sorgfältigen Erziehung. Sie waren gewöhnt, sich in Abwesenheit ihrer Herren selbst beim Nahen einer Gefahr lautlos zu verhalten, waren ihre Herren aber da, diese Gefahr ihnen durch Schnauben anzuzeigen. Sie hatten eine Gefahr gewittert und waren aufgestanden, aber still gewesen, weil ich mich nicht bei ihnen befand; nun ich aber da war, warnten sie mich. Ich ging zu den Wächtern zurück und sagte:
„Es liegt etwas in der Luft; was, das weiß ich nicht. Nehmt euch in acht! Es sind Menschen in der Nähe des Hauses, ob Freunde oder Feinde, das wird sich zeigen. Man sieht sie nicht; sie haben sich versteckt; Freunde aber brauchen sich nicht zu verbergen. Entweder stecken sie dort hinter den Büschen, oder sie liegen schon näher im hohen Gras.“
„Teufel! Es werden doch nicht etwa die Tramps sein, wegen denen Bell nach dem Nord-River geritten ist?“
„Das wird sich zeigen. Es ist besser, selbst die erste Note zu spielen, anstatt zu warten, bis der Feind beginnt, den Bogen zu streichen. Ah, dort, grad der Haustür gegenüber, hob sich jetzt etwas aus dem Gras; ich kann also nicht in die Stube, werde aber die Gefährten wecken. Habt Ihr eure Gewehre?“
„Ja, dort lehnen sie.“
„Nehmt sie, um den Eingang zu verteidigen; schießt aber nicht eher, als bis ich es euch sage!“
Ich legte beide Hände hohl an den Mund und ließ dreimal den Schrei des Kriegsadlers erschallen, so laut, daß er gewiß eine halbe englische Meile weit zu hören war. Nur einige Sekunden später ertönte derselbe Schrei auch dreimal drin in der Stube. Das war die Antwort Winnetous, welcher die warnende Bedeutung meines Schreies sehr gut kannte. Ebenso kurze Zeit darauf sah ich viele, viele dunkle Gestalten aus dem Gras aufspringen, und die Luft erzitterte unter einem Geheul, in welchem ich das Angriffszeichen der Cheyenne-Indianer erkannte.
Was wollten diese hier? Warum waren sie aus dem Quellgebiet des Republican-River so weit herabgekommen? Sie wollten die Farm überfallen, hatten also ihre Kriegsbeile auch ausgegraben, grad wie die Osagen. Wir hatten sie nicht zu fürchten, denn wir standen nicht nur in Frieden mit ihnen, sondern waren sogar ihre Freunde. Man braucht sich nur daran zu erinnern, was Schahko Matto dem alten Wabble unter dem ‚Baum der Lanze‘ von Winnetou erzählte. Dieser hatte sich an die Spitze der Cheyennes gestellt und mit ihnen das Lager der Osagen erobert; sie waren ihm also großen Dank schuldig. Ich war zwar nicht mit dabei gewesen, aber es konnte doch kein Indianer Winnetous Freund und dabei der Feind Old Shatterhands sein. Also war ich sofort beruhigt, als ich aus dem Kriegsgeheul erkannte, daß die Angreifer Cheyennes seien.
Eigentümlich war es, daß sie nicht zunächst und vor allen Dingen nach Indianerart über die Pferde herfielen. Der Angriff schien einstweilen nur gegen das Haus gerichtet zu sein, was auf eine ganz besondere Ursache schließen ließ. Wir brauchten den Korral nicht zu verteidigen, denn kein einziger Roter kam herbei; ich sah sie alle vor dem Haus stehen. Sie hatten jedenfalls beabsichtigt, sich heimlich nach der Tür zu schleichen, diese einzuschlagen und dann in das Gebäude einzudringen, waren aber durch meinen Adlerschrei daran verhindert worden, weil die Bewohner durch denselben geweckt worden waren. Der Überfall war mißlungen.
Ich war höchst neugierig auf das, was nun geschehen würde. Sie konnten nicht in das Haus und waren so unvorsichtig, vor demselben stehenzubleiben. Dachte denn keiner von ihnen daran, daß die drin befindlichen Männer durch das Fenster schießen würden? Sie bildeten, noch immer heulend und brüllend, vor der Front des Gebäudes einen Halbkreis, welcher von einer Ecke bis zur andern reichte. Als dies geschehen war, trat tiefe Stille ein. Wie ich meinen Winnetou kannte, war ich überzeugt, daß er jetzt sprechen würde. Und wirklich, es geschah. Er hatte die Tür geöffnet, war furchtlos in dieselbe getreten und rief mit seiner sonoren Stimme:
„Es ertönt das Kriegsgeschrei der Cheyennes. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen, der die Pfeife der Freundschaft und des Friedens mit ihnen geraucht hat. Wie heißt der Anführer der Krieger, welche ich vor
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