0902 - Das Erbe der Hölle
seinem Bruder, denn um diesen war es gegangen. Damals hatte Merlin die Hölle verlassen, um sich in den Dienst der anderen Seite zu stellen. LUZIFER, der KAISER, hatte Merlin mit allen Mitteln umzustimmen versucht. Vergeblich. Und während dieses Gesprächs waren schicksalsschwere Sätze gefallen.
LUZIFER warnte: »Wenn du gehst, Merlin, wirst du mein Feind sein, den die Hölle bekämpfen wird.«
Asmodis begehrte auf. »Das verweigere ich dir, mein KAISER! Nach wie vor ist Merlin mein Bruder, auch wenn er uns verlässt.«
LUZIFER runzelte die Stirn. »Du wagst es…?«
»Er ist einer von uns und wird es immer bleiben«, protestiert Asmodis weiter. »Sein Blut wird schwarz bleiben wie meines…«
»In tausend Jahren unterhalten wir uns noch einmal darüber«, unterbrach ihn der HÖLLENKAISER schroff. »Oder in zehntausend Jahren. Oder vielleicht auch dann, wenn ich dich auf eine ganz besondere Mission schicken werde.«
Asmodis keuchte. »Wovon sprichst du, LUZIFER?«
» Du wirst es wissen, wenn es an der Zeit ist und bis dahin nicht wieder daran denken. « [1]
Nun stand Asmodis, der Fürst der Finsternis, erneut vor der Flammenwand, weil LUZIFER ihn gerufen hatte. Und er erinnerte sich plötzlich wieder dieser Worte, die einst gefallen waren. Ja, er hatte die ganze Zeit über tatsächlich nicht mehr daran gedacht. Und nun…
War es jetzt also so weit? Würde ihn der KAISER auf jene Mission schicken, von der er einst geredet hatte? Asmodis wartete. Kein höllisches Wesen, und war es noch so mächtig, konnte den Flammenvorhang durchdringen, hinter dem sich der KAISER verbarg. Es wäre unweigerlich gestorben und anschließend Qualen ausgesetzt worden, die sich selbst der Fürst der Finsternis nicht vorzustellen wagte. So war einst eine Projektion LUZIFERs vor der Flammenwand erschienen, um Merlin ins Gewissen zu reden. Ein riesiges Teufelsgesicht, hundertmal größer als die beiden Brüder und von einer allmächtigen Aura umgeben, die Asmodis und Merlin zittern ließ. Sie, die sich für mächtige Wesen gehalten hatten, erlebten in diesen grauenvollen und gleichzeitig erhabenen Momenten die unendliche Majestät des KAISERS, wirkliche Macht, die selbst sie auf keine höhere Stufe als die verachtenswerten Irrwische stellte. Trotzdem hatte LUZIFER ihnen nicht ihr Selbstbewusstsein und ihren Willen genommen. Er hatte zugelassen, dass sie mit ihm diskutierten, dass sich Merlin schlussendlich nicht von seinem einmal gewählten Weg abbringen ließ. Asmodis war sicher, dass es dem KAISER leicht gefallen wäre, das Aufbegehren seines Bruders mit einem Fingerschnippen hinwegzufegen. Doch wie gesagt, er hatte es nicht getan. Warum nicht?
Asmodis' Gedanken wirbelten. Er starrte auf den Flammenvorhang, der sich über eine düstere, beinahe leere Ebene erstreckte, eine brüllende, tobende Barriere aus allen möglichen Farben, auch wenn rotgelb dominierte. Diese Wand, bestehend aus Urkraft, war das gewaltigste Gebilde, das er jemals gesehen hatte. Sie reichte bis zum Himmel und über beide Horizonte hinaus in die Unendlichkeit hinein. Nicht einmal im Ansatz konnte der Fürst der Finsternis ihre wahren Dimensionen erahnen. Feuerstürme, so hoch und breit wie das Gebirge um Lucifuge Rofocales Badesee wirbelten aus der Wand, schossen auf ihn zu, hüllten ihn ein und umgaben ihn mit angenehmer Hitze. Wäre er ein ungebetener Gast auf LUZIFERS EBENE gewesen, sie hätten ihn stattdessen gegrillt, da war er sich vollkommen sicher.
»Willkommen, Asmodis, Herr der Hölle, Fürst der Finsternis!«, hörte er urplötzlich die machtvolle, aber doch angenehme Stimme des KAISERS. Schwang so etwas wie Spott oder Hohn darin mit? Asmodis fühlte sich unangenehm berührt. Unwillkürlich schaute er nach oben, in der Erwartung, dass sich das riesige Teufelsgesicht wieder vor der Flammenwand manifestierte.
»Du suchst mich, Asmodis? Heute tust du das auf dieser Seite der Existenz vergeblich. Schreite also durch die Flammenwand, mein treuer Diener. Und tritt mir dort entgegen, wo sich das Zentrum allen Seins befindet. Bezogen auf die Schwarze Familie natürlich nur.« Ein höhnisches Kichern erfüllte Asmodis Gedanken und verstärkte sein Unwohlsein noch. Denn nun war der Hohn tatsächlich deutlich spürbar.
»Herr, LUZIFER«, keuchte er und brach in die Knie. Angstvolle Blicke schweiften unstet über die feurige Hölle, die in gespenstischer Lautlosigkeit tobte. »Willst du mich umbringen, mein KAISER? Niemand kann die Flammenwand
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