0902 - Das Erbe der Hölle
»Wer bist du?«, fragte Asmodis. Das grüne Flirren verstärkte sich für einen Moment.
»Der Wächter der Schicksalswaage schickt mich.«
»Oh, der Wächter der Schicksalswaage, sieh einer an. Dann bist du also einer dieser legendären Boten, die ich bisher nur aus Erzählungen kannte.« Asmodis verbeugte sich mit elegantem Kratzfuß. »Muss ich dich jetzt um ein Autogramm bitten?«
»Ein Autogramm? Was ist das?«
»Ach, vergiss es.« Asmodis vergaß seinen Spott für einen Moment. In seinen Augen rotierten zwei grellrote Feuerräder. »Was willst du von mir, Bote?«
»Merlin ist tot.«
»Ach was. Hat sich das bereits bis Kemran(Planet, auf dem der Wächter der Schicksalswaage residiert) herumgesprochen?«
»Der Wächter will, dass du die Mauern Caermardhins wieder mit Leben erfüllst.«
Asmodis, der in der Gestalt eines großen Teufels auftrat, peitschte mit dem Schwanz. Er zielte so, dass er den Boten traf. Als der Schwanz durch das Flimmern fegte, spürte der Teuflische ein unangenehmes Kribbeln, das sich sofort im ganzen Körper ausbreitete. Instinktiv erfasste er, dass die Magie des Boten der seinen weit überlegen war.
Er zog es vor, wieder zum Thema zurückzukommen. »Diese Mauern hier wieder mit Leben erfüllen? Was meinst du genau damit?«
»Die Zeiten wenden sich momentan stürmischer als üblich, Asmodis. Große Veränderungen stehen an. Wenn das beginnende Äon der Ratte einige Jahre alt ist, wird mit großer Voraussicht kaum noch etwas so sein, wie es vorher war. Gefährliche Schieflagen könnten entstehen, was das Gleichgewicht der Kräfte anbelangt. Merlins Tod erfolgte also zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, da er einer der Machtfaktoren auf der Seite des Guten war und diese dadurch im Moment entscheidend geschwächt ist.«
Asmodis fühlte plötzlich ein unangenehmes Ziehen im Bauch. »Was du nicht sagst«, murmelte er.
»Trotzdem, so tragisch Merlins Tod ist - selbst er ist nicht unentbehrlich. Auch der Magier von Avalon kann ersetzt werden. Durch dich, Asmodis. Der Wächter der Schicksalswaage möchte, dass du künftig Merlins Aufgaben wahrnimmst.«
»Ich?«, schrie Asmodis. Aus den Feuerrädern in seinen Augen lösten sich lavafarbene Blitze und verästelten sich im gesamten Raum. »Was ist das für ein Unsinn! Ich soll plötzlich auf der Seite des Guten kämpfen? Das ist völlig unmöglich. Ich bin ein Dämon, falls das dem Wächter bisher entgangen sein sollte. Ich bin schwarzmagisch! Ich kann nicht für das Gute kämpfen.«
»Du bist genauso wenig ein reinrassiger Dämon, wie es dein Bruder Merlin war. Der Zauberer von Avalon konnte die Hölle problemlos verlassen und die Seiten wechseln, um fortan für das Gute zu kämpfen. Das kannst du auch.«
Asmodis war erstarrt. »Was meinst du damit, ich sei kein reinrassiger Dämon? Was willst du damit sagen? Heraus damit!« Wäre der Bote ein körperliches Wesen gewesen, der Teufel hätte ihn am Kragen gepackt und versucht, die Wahrheit aus ihm herauszuschütteln.
»Irgendwann wirst du es erfahren. Im Moment ist nur wichtig, dass du Merlins Stelle einnimmst. Und damit wir uns richtig verstehen: Der Wächter bittet dich nicht darum. Er verlangt es von dir und wird dich notfalls dazu zwingen. Du weißt, dass ihm das problemlos möglich ist.«
»Aber… aber das ist auch aus einem anderen Grund völlig unmöglich«, stammelte ein sichtlich durcheinander gekommener Asmodis. »Ich habe bereits eine Aufgabe, die ich erfüllen muss.«
»LUZIFERs Auftrag, ich weiß. Aber der ist nun völlig bedeutungslos für dich geworden. LUZIFER ist schließlich selbst schuld an seiner Lage. Er muss sehen, wie er ohne dich zurecht kommt.«
»Aber der Wächter kann nicht wollen, dass die Hölle stirbt! Dann ist die Schicksalswaage wirklich im Ungleichgewicht!«
»Woher weißt du, was der Wächter will und was nicht? Woher weißt du, was tatsächlich kommt? Fang am besten gleich hier und jetzt mit deiner neuen Aufgabe an, Asmodis. Lerne die Burg kennen, die für ihren Besitzer ein ungeheures Machtinstrument darstellt, wenn seine magischen Kräfte sie erst aktiviert haben. Das, was du bei deinen bisherigen Besuchen erfahren hast, war nur ein kleiner Teil davon.« Das Flimmern schwächte sich ab.
»Nein, warte!« Asmodis griff mit seiner Klaue danach.
Der Bote hatte anscheinend alles gesagt, was zu sagen war und verschwand wieder.
Wie betäubt, mit hängendem Kopf stand der ehemalige Fürst der Finsternis da. »Kein reinrassiger Dämon«, flüsterte
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