0935 - Aibons klagende Felsen
weil er die Frau trug, die wir beide retten wollten.
Das Wasser kam.
Nicht zu schnell, aber stetig. Mir kam es beinahe so vor, als wären die guten Kräfte des Landes dabei, es zurückzuhalten. All die Elfen, Feen und engelhaften Soldaten und ihre märchenartigen Tiere stemmten sich noch einmal dagegen, um dieses Land nicht nur in den Tod und den Schrecken abgleiten zu lassen.
Wir sahen nichts mehr.
Wir bewegten uns nur in eine Richtung. Das Denken war ausgeschaltet, die Beine liefen von allein.
So schnell wir aber auch waren, das Wasser würde schneller sein.
Wir hörten es immer lauter.
Wellen brandeten näher. Wahrscheinlich haushohe Wogen, die uns gleich erreichen und zu Boden schlagen würden. Wir spürten beide den plötzlichen Ansturm der Kälte, ein Beweis, wie nahe das verdammte Wasser schon war. Sehr nahe, zu nahe… Auf einmal erwischte es uns.
Entweder hatte nur ich geschrieen, vielleicht auch Bill oder wir beide. Jedenfalls war die Wucht so stark, daß wir von dem Anprall nach vorn geschleudert und von den Füßen gerissen worden. Es gab keinen Halt mehr, wir kippten weg. Wir hatten auch die Arme ausgestreckt, aber wir konnten uns nicht am Boden abstützen. Wir fielen nach vorn - in das gurgelnde Wasser.
In die Sintflut, die uns überschwemmte, in der wir schließlich elendig ertrinken sollten…
***
Automatisch bewegte ich meine Arme, die Beine ebenfalls. Als Schwimmer macht man das eben, auch wenn es sicherlich nicht viel brachte. In unserem Fall aber hatten wir Glück, das ich kaum fassen konnte, denn eine Welle, unterstützt durch unsere Schwimmbewegungen, schaufelte uns gleichzeitig an die Oberfläche.
Ja, an die Oberfläche!
Ich konnte es kaum fassen, denn auch meinen Freund Bill sah ich in meiner Nähe. Wir brauchten auch nicht zu schwimmen, denn er schmale Strandstreifen lag zum Greifen nahe vor uns. Die Wucht des Wassers hatte uns beinahe hingeschleudert, zudem waren wir durch diese andere Welt wieder mit aller Kraft zurückgerannt und hatten bereits den größten Teil der Entfernung zurückgelegt.
Das Wasser war verdammt eisig. Ich wischte es aus meinem Gesicht und wrang es aus den Haaren.
Wir mußten so rasch wie möglich ans Ufer, aber Bill schrie plötzlich. »Wo ist sie? Wo ist Joanna?«
Seine Worte elektrisierten mich. Bis zu den Oberschenkeln im Wasser stehend drehte ich mich um, wo ich auf die Wogen des Meeres hinausschaute.
Bill Conolly stand nur einen Schritt neben mir. Beide waren wir fast verzweifelt, denn von Joanna fehlte jede Spur.
Hatte das Meer sie geschluckt?
»Wann hast du sie verloren?«
»Ich weiß es nicht, John. Es muß geschehen sein, als uns die erste Woge erwischte.«
Uns hatte sie auf das Ufer zugeschleudert, das hätte auch bei Joanna der Fall sein müssen, aber sie war verschwunden. Das Meer mußte sie geholt haben, das jetzt wieder normal gegen das Ufer rollte.
Wir suchten. Wir liefen auch vor, wo es tiefer war, und wir ignorierten die bissige Kälte.
Es hatte keinen Sinn. Der Ozean war gnadenlos. Nach etwa zehn Minuten gaben wir die Suche auf und gingen ziemlich deprimiert und schwer atmend zurück aufs Trockene.
Bill ließ sich auf einem hohen Stein nieder. Er schüttelte den Kopf. Das Wasser tropfte aus seinen Haaren. »Sie hat unbedingt in ihrer Welt bleiben wollen, John. Jetzt ist sie geblieben, und ich frage mich, ob es für sie nicht so besser ist. Oder hätte sie mit dem Wissen eines Doppelmords leben können?«
»Man weiß es nicht.« Ich merkte, wie die Kälte immer stärker in meinen Körper kroch. Ich zitterte wie Espenlaub, die Zähne schlugen schon auf einander.
Noch einmal schauten wir über die anrollenden Wellen hinweg. Wir sahen nichts. Das Meer gab seine Beute nicht frei.
»Laß uns gehen, Bill. Bis wir oben sind, dauert es noch was. Dann ist die Kleidung wieder trocken.«
Wir machten uns an den Aufstieg. Schweigend, denn jeder hing seinen Gedanken nach, die sich nur um ein Thema drehten.
Und dann hörten wir das Wimmern!
***
Aus der Bewegung heraus blieben wir stehen. Es war keine Täuschung, denn wir hatten es zugleich gehört, und es war nur eine Stimme, die wimmerte und jammerte.
Eine helle Stimme.
Ihre Stimme…
Bill holte durch die Nase Luft. Er spürte plötzlich einen wahnsinnigen Druck hinter den Augen, strich durch sein Gesicht und schauderte zusammen.
Ich hatte mich gedreht. Ich sah den glatten Fels vor mir, wobei in meiner Höhe so etwas wie ein breiter Buckel nach vorn sprang. Und aus ihm drang das
Weitere Kostenlose Bücher