094 - Der Teufel von Tidal Basin
solange sie sich kannten.
Sie wußte sofort, was sein Blick zu bedeuten hatte, und legte die Hand in den Schoß, so daß er sie nicht mehr sehen konnte.
»Wo ist Ihr Ring?« fragte er trotzdem.
Sie errötete, und seine Frage beantwortete sich dadurch eigentlich von selbst.
»Ich habe ihn - aber ich weiß gar nicht, was das mit Ihnen zu tun hat?« Er holte tief Atem.
»Es hat nichts mit mir zu tun, ich bin nur neugierig. Ein Austausch von Liebeszeichen?«
An diesem Abend war er sehr taktlos.
»Es ist mein Ring, und ich lasse mich deswegen nicht von jemand verhören, der gar kein Recht dazu hat. Sie sind ein schrecklicher Mensch.«
»So?« Er nickte bedächtig. »Schon möglich. Und ich weiß, daß ich Ihnen gegenüber kein Recht habe, schrecklich oder sonst etwas zu sein. Ich will ja auch nicht fragen, was er Ihnen dafür gegeben hat. Vielleicht irgendeine wertlose Halskette -«
Sie zuckte zusammen.
»Woher wissen Sie das? Das heißt, sie ist sehr wertvoll.«
Er sah sie ernst an.
»Ich würde diesen Menschen doch erst einmal genau prüfen, Janice.«
Sie schaute ihm zum erstenmal wieder ins Gesicht und erschrak.
»Wie meinen Sie denn das? Ich verstehe Sie nicht.«
Er versuchte zu lächeln, um es ihr möglichst liebenswürdig zu sagen.
»Sie müssen doch erst Erkundigungen über ihn einziehen. Man prüft doch ein Pferd auch erst, bevor man es kauft.«
»Aber ich kaufe ihn doch nicht - er ist ein reicher Mann! Er hat zwei Farmen!« sagte sie eisig. »Ihn prüfen! Erkundigungen einziehen! Sie würden natürlich sofort einen Verbrecher in ihm entdecken. Und wenn Sie nichts finden sollten, haben Sie ja genügend Phantasie, um ihm etwas anzudichten! Vielleicht ist er Ihr berühmter Held ›Weißgesicht‹! Der Mann ist doch eine Spezialität von Ihnen, nicht wahr?« Er seufzte, aber er hatte nun wenigstens die Möglichkeit, das unangenehme Thema fallenzulassen.
»Weißgesicht ist durchaus kein Phantasiegebilde. Er existiert tatsächlich. Fragen Sie nur Gasso.«
Michael winkte den schlanken Geschäftsführer des Restaurants heran.
»Ach, Sie meinen Weißgesicht? Ein gemeiner Verbrecher!« sagte der Italiener theatralisch und gestikulierte lebhaft mit den Händen. »Wo bleibt die berühmte Londoner Polizei? Mein armer Freund Bussini ist schwer geschädigt worden. Dieser entsetzliche Mensch hat das ganze Renommee seines Restaurants zerstört!«
Tatsächlich war Weißgesicht eines Abends zu später Stunde in Bussinis Restaurant aufgetaucht und hatte Miss Angelo Hillingcote, bevor die anderen Gäste etwas merkten, ihren Schmuck abgenommen, der sechstausend Pfund wert war. Die ganze Sache spielte sich in wenigen Sekunden ab. An der Ecke von Leicester Square sah ein Polizist, daß ein Mann auf einem Motorrad vorübersauste. Auch am Embankment wurde bemerkt, daß dasselbe Rad in östlicher Richtung davonfuhr. Das war der dritte und bekannteste Auftritt des Verbrechers im Westen Londons gewesen.
»Meine Kunden sind nervös geworden - und wer sollte unter solchen Umständen auch nicht nervös werden?« sagte Gasso aufgeregt. »Glücklicherweise sind es gebildete Leute . . .« Plötzlich brach er ab und starrte auf den Eingang. »Aber sie hätte wirklich nicht kommen sollen!« schrie er beinahe und eilte zur Tür, um eine Dame zu empfangen, deren Ankunft ihm anscheinend unangenehm war.
Es war die Filmschauspielerin Dolly de Val, eine blonde Schönheit. Ihre Agenten hatten sie so getauft, weil ihr eigener Name Annie Gootch nicht zugkräftig genug wirkte. Sie spielte nicht gut und war der Schrecken der Regisseure, das Publikum aber liebte sie. Im Laufe der letzten Jahre war sie sehr reich geworden und hatte einen großen Teil ihres Vermögens in Brillantschmuck angelegt. In den elegantesten Nachtklubs von London nannte man sie nur ›Diamantendolly‹.
Die Besitzer und Geschäftsführer dieser Klubs und Kabaretts wurden nach dem Überfall auf Miss Hillingcote alle nervös, und wenn die Diamantendolly einen Tisch bestellte, läutete der Inhaber des betreffenden Lokals Scotland Yard an. Chefinspektor Mason, der in diesem Fall zuständig war, schickte dann ein paar Detektive in tadellosem Gesell schaftsanzug, die sich nicht von den anderen Gästen unterschieden und an benachbarten Tischen Platz nahmen, um die Kostbarkeiten Dolly de Vals zu bewachen.
Aber nicht immer war sie so vorsorglich, ihr Erscheinen telefonisch anzumelden, öfters kam sie in Begleitung netter junger Leute, mit Brillanten behängt, in ein Lokal,
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