0946 - Der sechste Schlüssel
ich, wie riesig die Burgen der sechs anderen Mächtigen waren - groß genug, daß man tagelang darin umherirren konnte, ohne auch nur einen einzigen Punkt zweimal zu berühren. In Bardiocs Burg dagegen hatte ich noch nicht einmal zwanzig Minuten gebraucht, um von der Außenhülle bis ins Zentrum zu gelangen.
Die Halle war mit grotesk geformten Gegenständen spärlich ausgestattet. Unter dem grellen Licht, das von unregelmäßig geformten Leuchtplatten in der Decke herrührte, erschienen sie wie Dinge, die entweder fremdartige Möbelstücke, für einen Zyklopen gemacht, oder Objekte einer exotischen Kunst sein mochten, vielleicht auch beides zugleich. Der absolute Mangel an Farben wirkte fast wie ein Schock. Das eintönige Graubraun der Gegenstände erfüllte die Halle trotz des reichlich vorhandenen Lichts mit einer Aura der Düsterkeit.
In den Wänden des Raumes gab es eine Reihe türloser Durchgänge. Ich entschied mich wahllos für einen von ihnen und gelangte in eine Kammer, die mit technischem Gerät gefüllt war. Mein besonderes Interesse erregten mehrere große Bildflächen, die so angeordnet waren, als sei es ihre Aufgabe, die gesamte Umgebung der Burg darzustellen. Die Bildempfänger waren desaktiviert, die Bildschirme glänzten matt im Widerschein der Deckenbeleuchtung.
Der Gedanke, daß ich von hier womöglich den Weltraum im Umkreis von Bardiocs Burg überwachen könne, faszinierte mich. Ich suchte nach dem Mechanismus, der die Bildempfänger in Betrieb setzte.
Unglücklicherweise aber hatte dieser Raum außer der Rundumbeobachtung offenbar auch noch anderen Zwecken gedient. Ich fand jedenfalls zehnmal mehr eigenartig strukturierte Konsolen und Bedienungstafeln, als man selbst zur Handhabung des kompliziertesten aller Bildempfänger hätte brauchen können. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich Schritt für Schritt durch die Menge der Knöpfe, Tasten und Schalter hindurchzuarbeiten. Und jedesmal, wenn ich eine Schaltung ausführte, hielt ich unwillkürlich den Atem an, ob nicht gerade sie einen Schutzmechanismus aktivierte, der mich, den unbefugten Eindringling, zu Atomen zerblasen würde.
„Sei willkommen, Fremdling!"
Meine Reaktion war instinktiv und bar jeder Logik.
„Wer hat das gesagt?" entfuhr es mir.
Ich bekam keine Antwort. Und während ich noch halb erstarrt vor Schreck und Überraschung dastand, kam mir zu Bewußtsein, daß ich nicht wirklich etwas gehört hatte. Die Worte waren in meinem Gehirn entstanden - lautlos, das Produkt mentaler Impulse.
*
Ich hatte mich von dem ersten Schock noch nicht erholt, da folgte bereits der zweite.
Ringsum begann es zu knistern. Flackerndes Licht strömte von allen Seiten auf mich ein. Ich riß erstaunt die Augen auf und sah, daß sämtliche sechs Bildflächen in Tätigkeit getreten waren.
Verdutzt blickte ich auf die Schalttaste, die ich als letzte betätigt hatte. Waren die Empfänger dadurch aktiviert worden? Kaum zu glauben, daß sie so lange zum Aufwärmen brauchten.
Das heißt - eigentlich wußte ich gar nicht genau, wie lange es gedauert hatte. Die Mentalstimme hatte mich verwirrt. Ich erinnerte mich nicht, wie lange ich unter ihrem Bann gewesen war. Möglicherweise hatte es sich nur um einen Sekundenbruchteil gehandelt.
Die Bildschirme stellten, wie ich es erwartet hatte, die Umgebung der Burg dar. Während des mehrtägigen Wartens hatte ich Zeit genug gehabt, die Konstellationen dieses Raumsektors zu studieren. Auf den Bildflächen erkannte ich sie wieder. Das Zentralgestirn des Systems „mit den drei Tränen" erschien als mächtige Scheibe auf einem der Schirme. Eiei leistungsstarker Filter hatte den größten Teil der blendenden Helligkeit absorbiert, so daß die Darstellung der Sonne den Ausblick nicht beeinträchtigte. Zwei weitere Objekte erschienen in Scheiben- anstatt in Punktform, wodurch offenbar wurde, daß sie sich in vergleichsweise geringer Entfernung befanden: Der Ursprung der Vollkommenheit und der Irrläufer unter den Sternen.
Ich hielt unwillkürlich nach den nahenden Raumschiffen der Vargarten Ausschau. Das war selbstverständlich eine überflüssige Bemühung. Die Fahrzeuge waren optisch noch nicht erfaßbar.
Ein wenig unschlüssig wanderte ich zwischen den Geräten einher. Hatte ich wirklich eine Mentalstimme gehört, oder war ich einer Täuschung aufgesessen? Meine Phantasie befand sich angesichts der fremdartigen Umgebung im Zustand hochgradiger Erregung. Es war leicht denkbar, daß ich eine
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