0950 - Ein Gruß aus der Hölle
unheimliche Vorsätze. Alles kam bei ihr zusammen, und sie stellte mit Entsetzen fest, daß sich die Gestalt auf dem Thron bewegte, aber noch nicht aufstand. Diese Bewegungen waren anders als die bei einem Menschen. Da ging das eine nicht in das andere über. Unabhängig voneinander gerieten gewisse Stellen an diesem unförmigen Körper ins Zittern, als wollten sie sich selbst Kraft geben. Eine plumpe, stinkende und auch ölig schimmernde Masse war dabei, den Thron zu verlassen, um sich den beiden zu nähern.
Marion wollte verschwinden. Sie tat es nicht, denn sie konnte sich nicht bewegen. Und das andere Wesen stemmte sich ab. Sein gesamter Körper geriet dabei in Bewegung, als wollte er eine andere Form annehmen und sich am Boden auf die beiden Mädchen zu wallen.
»Warum gehst du nicht?« flüsterte Marion.
»Ich, ich kann nicht.«
»Aber…«
»Nein, ich kann wirklich nicht.«
»Warum denn nicht?« Sie ließ nicht locker, weil sie den Eindruck hatte, daß ihre Starrheit nicht an dem Wesen lag, sondern mehr an ihnen selbst. Weil sie sich nicht überwinden konnten, und da stand Caroline an erster Stelle.
Sie weinte plötzlich. Es war ein heftiger Gefühlausbruch, mit dem Marion nicht gerechnet hatte. Sie wunderte sich darüber, daß ihre Halbschwester dazu überhaupt fähig war. Es war ein hartes und intensives Schluchzen. Möglicherweise durch etwas hervorgerufen, das wie ein Sturmwind über Caroline gekommen war. Einen Grund konnte sich Marion nicht vorstellen, sie war einfach zu perplex. Außerdem wußte sie zu wenig über ihre Halbschwester.
Caroline stand an und weinte. Sie ließ den Tränen freien Lauf. Sie wischte keine einzige weg, und Marion stand ziemlich verloren neben ihr. Sie hatte sich bisher einen derartigen Gefühlsausbruch nicht vorstellen können, weil die Halbschwester für sie kein richtiger Mensch gewesen war. Deshalb war sie von den Tränen um so stärker überrascht worden. Ihr lagen so viele Fragen auf der Zunge, nur konnte sie sich nicht überwinden, auch nur eine davon zu stellen.
Statt dessen stand sie da und schaute zu, wie schlecht es ihrer Schwester ging.
Caroline schüttelte das Schluchzen regelrecht durch, und da Marion sie mit einer behutsamen Geste berührte, bemerkte sie gar nicht.
»Was ist denn, Caro?«
Sie weinte weiter. Es fiel ihr sogar schwer, sich auf den Beinen zu halten. Das leichte Schwanken fiel Marion wohl auf. Sie faßte zu und hielt Caroline fest.
»Kannst du nicht reden?« Himmel, wie stark ich bin! schoß es ihr durch den Kopf. Ich bin richtig stark geworden. Ich habe nicht mal mehr so große Angst Ich bin jetzt diejenige, die Caro führt. »Sag doch was!«
Ihre Halbschwester nickte. Es war das erste Zeichen auf eine Normalität hin. Die Tränen rannen nicht mehr so stark. Sie versickerten allmählich.
Plötzlich blieb Caroline still. Ihre Nase lief nicht mehr, und im weichen Licht sah sie so künstlich aus wie eine übergroße Puppe. Hinter das Geheimnis ihrer Halbschwester war Marion noch nicht gekommen, aber sie ahnte, daß Caroline eine Last mit sich trug, die unbegreiflich für einen Durchschnittsmenschen war. Dabei spielte es keine Rolle, ob man einen Erwachsenen oder ein Kind vor sich hatte.
»Bist du wieder okay, Caro?«
»Ja, fast.«
»Dann können wir weitergehen.«
»Weiß nicht.«
»Warum denn nicht? Das Monster hat uns doch nichts getan. Wir hätten schon längst weg sein können, aber so stehen wir noch hier. Komm jetzt!«
»Nein, Marion, nein!« widersprach Caroline. »Das geht nicht. Das können wir nicht. Wir dürfen nicht nach oben gehen.«
»Warum sagst du das?«
»Weil es stimmt.«
»Da komme ich nicht mit, Caro. Du hast doch früher anders gesprochen. Vorhin wolltest du hoch und…«
»Da habe ich es noch nicht gespürt.«
»Was denn?«
Caroline beugte sich vor. Sie hatte sich jetzt wieder gefangen und war fast die alte. »Es ist dort oben gefährlich für uns. Ich habe die Botschaft erhalten. Ich weiß nicht, was da abläuft, ich kann nicht durch Mauern sehen, aber ich habe gespürt, daß sich etwas tut.«
»Wer hat es dir gesagt? Das Monstrum?«
»Ja - mitgeteilt!«
»Aha.«
»Du brauchst nichts zu begreifen. Ich habe seine Gedanken erfahren. Es ist ein Geheimnis unseres Vaters, und es ist sogar noch mehr, wie ich es sehe. Schon ein Stück von ihm selbst. Es gibt ihm die Kraft, all das andere zu tun. Er hat es sich geholt. Was du da gesehen hast, ist ein Stück Hölle, ist ein Teil von ihm…«
»Von wem
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