0965 - Der Killerbaum
Freundin Carmen vor dieser Entdeckung erlebt, und sie konnte sich vorstellen, daß sie sich das nicht eingebildet hatte.
Julia riß die Tür so wuchtig auf, daß sie die Balance verlor und nach draußen stolperte. Das hatte sie nicht vorgehabt. Aber jetzt, wo sie schon einmal draußen stand, da schaute sie auch nach rechts, und sie erlebte das Geschehen wie auf einer Bühne, denn dort spielte sich ein wahrer Alptraum ab.
Wo sie hinschaute, hatte nie zuvor ein Baum gestanden. Aber plötzlich war er da. Wie vom Himmel gefallen. Nur war das nicht eingetreten, dieser Baum bewegte sich auf seinen Wurzeln. Er tänzelte, und er war tatsächlich in der Lage, auch sein Astwerk zu bewegen. Die einst so starren Zweige und Äste wirkten in diesen Augenblicken wie aus Gummi.
Dementsprechend beweglich waren sie auch.
Sie hatten sich eine Beute geholt. Denn vor dem noch nicht ganz dunklen Hintergrund des Himmels zeichneten sich deutlich die Umrisse eines Menschen ab, der in der Baumkrone gefangen war und dabei herumgestoßen wurde.
Sein Körper schwang auf und nieder. Aber er wurde nicht nur von irgendwelchen Zweigen umklammert, eine Wurzel hatte sich in die Höhe gebogen und ihn durchbohrt.
Rocco Wilde war tot. Das wurde Julia in diesen Augenblicken klar. Er konnte einfach nicht überlebt haben.
Julia ging zurück, ohne es zu merken. Erst als sie mit dem Rücken gegen die Kante der offenstehenden Tür stieß, da erwachte sie aus ihrer Erstarrung.
Plötzlich sah sie die Realität mit anderen Augen. Und sie wußte auch, daß sich Carmen nicht geirrt hatte.
Es gab den Killerbaum. Er hatte sich sein erstes Opfer geholt, und er war tatsächlich dabei, sich dem Wagen zu nähern, wo weitere auf ihn warteten.
Bevor sie einstieg, warf sie einen letzten Blick auf dieses verfluchte Monstrum.
Irrte sie sich, oder hockte dort tatsächlich ein Mann im Geäst?
Sie konnte es nicht genau sagen, aber möglich war alles. Beinahe wäre sie noch über die Stufe gestolpert. Soeben noch konnte sie sich abstützen. Dann schlug sie die Tür hinter sich zu und wurde mit Fragen bombardiert.
»Die Hölle ist los!« brüllte Julia in den Wirrwarr hinein und schaffte es sogar, ihn zu übertönen. »Die Hölle, versteht ihr?«
Die anderen schwiegen.
»Carmen hat recht behalten. Es ist - es ist - verdammt noch mal! Da draußen ist ein Baum, der Menschen killt. Er durchbohrt sie mit seinen Ästen und Wurzeln.« Sie schlug gegen die Stirn. »Das müssen wir uns vor Augen halten.« Dann drückte Julia eine Kollegin zur Seite, daß diese beinahe zu Boden gefallen wäre. Mit langen Schritten eilte die Tänzerin auf den Fahrerplatz zu. »Wir müssen weg!« brüllte sie dabei. »Wir müssen sofort weg!«
»Wohin denn?«
»Scheiße!« schrie sie. »Das ist doch egal!« Zitternd ließ sie sich auf den Sitz fallen. Jetzt kam ihr zugute daß der Schlüssel steckte. Julia drehte ihn herum, und der Motor sprang auch sofort an. Bisher war das Fahrzeug immer in Ordnung gewesen, und das war auch diesmal der Fall.
Sie hörte das Geräusch wie die schönste Musik, legte den Gang ein, schaltete sehr schnell hoch, als sie in eine Rechtskurve fuhr, um den Campingplatz zu verlassen. Er war breit genug und rechts und links von dichten Hecken umsäumt, die auch im Winter ihre Blätter nicht verloren.
Sie schaltete die Scheinwerfer ein. Das kalte Licht fiel auf eine freie Fläche, wo glücklicherweise kein Baum als Hindernis stand.
Julia durfte nicht daran denken, was sie gesehen hatte. Sie mußte sich auf das Fahren konzentrieren. Eine geübte Autofahrerin war sie beileibe nicht, und auch jetzt fürchtete sie sich davor, die Durchfahrt nicht zu erwischen, die immer enger zu werden schien. Das war natürlich Einbildung, aber es ging eben nicht anders. Andere Gesetze beherrschten sie. Nichts war mehr so wie noch vor einer Stunde.
Die anderen Tänzerinnen hatten die Vorhänge an den Scheiben zur Seite gezogen. Sie schauten nach draußen und verrenkten sich dabei die Köpfe. Als Julia Schreie hörte, war ihr klar, daß auch die anderen den wandelnden Baum gesehen hatten.
Femlicht!
Noch mehr Gas.
Sie stand unter Druck. Der Ausgang war überdeutlich zu sehen. Das Haus daneben, in dem sonst der Kontrolleur saß und die Schranke bedient. Sie war jetzt offen.
Freie Fahrt!
Da geschah es. Anderes Lieht tauchte in das Fernlicht ihres Wagens ein.
Julia wurde geblendet. Sie verriß das Steuer. Nicht sehr weit, nur eine Idee, aber das reichte aus.
Der Wagen schlingerte
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