0977 - Liliths grausame Falle
Brunnens zurück, als wäre ihr etwas Furchtbares widerfahren. Auf keinen Fall wurde sie von einem Peitschenschlag der Angst befallen, aber etwas mulmig und unheimlich war ihr schon zumute.
Dort unten, auf dem Grund des Schachtes, stand eine Frau. Eine Person, die nicht tot war wie die anderen, die man über den Rand hinweg in die Tiefe gekippt hatte.
Wo kam sie her?
Es gab zwei Wege. Einmal den tödlichen, zum zweiten den ungefährlichen unter der Erde her.
Letzteren aber kannte nur Charlotte, abgesehen von Lilith, die kam überall hin, aber diese Fremde im Brunnen konnte doch nicht vom Himmel gefallen sein.
Charlotte stöhnte auf. Sie faßte sich an den Kopf. Ihre Sinne waren in den letzten Sekunden geschärft worden. Sie vernahm das Summen der Fliegen lauter als sonst, empfand die Hitze als stärker und den Geruch des Bluts und des Moders intensiver.
Woher kam die Person im Schacht? War sie es möglicherweise, vor deren Kommen sie sich so gefürchtet hatte?
Charlotte konnte keine Antwort darauf geben. Die feuchten Hände - eine Folge der Aufregunggefielen ihr gar nicht. Bisher war das ihr Refugium gewesen, nun aber war jemand erschienen, um diese wunderbare Ruhe zu zerstören und damit auch ihre Pläne zu vernichten.
Das gefiel ihr nicht - aber sie mußte sich den Tatsachen stellen und die andere aus dem Weg räumen.
Wieder ging sie auf den Brunnenrand zu. Diesmal beugte sich Charlotte behutsam nach vorn, wie jemand, der damit rechnet, daß aus dem Schacht plötzlich ein schleimiger Arm hervorschießt, um sie zu packen.
Es blieb bei diesem Vergleich. Nur hatte die fremde Person den Brunnenrand nicht aus den Augen gelassen, denn kaum war Charlotte wieder in den Sichtbereich gekommen, hörte sie die Stimme.
»Wer immer Sie sein mögen, helfen Sie mir! Sorgen Sie dafür, daß ich aus dem Brunnen gerettet werde.«
Charlotte grinste bissig. Von wegen, dachte sie. Von wegen. Nichts werde ich tun. Du hast mein Spiel durchkreuzt. Du bist die ideale Zeugin. Du hast gesehen, was passierte, du wirst dein Wissen weitertragen, dann bin ich geliefert.
»Warum geben Sie denn keine Antwort?«
Charlotte lächelte und grinste nicht mehr. Noch immer ließ sie sich Zeit, dann rief sie laut nach unten: »Wer sind Sie eigentlich, verdammt noch mal?«
»Ich heiße Jane Collins.«
»Wie?« Sie hatte den Namen tatsächlich nicht verstanden. Auf dem Weg nach oben waren die Silben verschluckt und verfremdet worden.
»Jane Collins!!!«
Die Frau stieß die Luft aus. Mit diesem Namen konnte sie nichts anfangen. Das war einfach nichts.
Unmöglich. Wer war diese Collins? Bestimmt keine Polizistin. Denn um Dick zu finden, hätten seine Kollegen bestimmt keine Frau geschickt. An einen Zufall wollte Charlotte auch nicht glauben, deshalb fragte sie: »Wo kommst du denn her? Wie bist du in den Brunnen geraten?«
Zum erstenmal hörte sie das Lachen. Nur klang es nicht fröhlich. Danach die Stimme, die schon einen heiseren Klang erhalten hatte. »Ich kann es dir nicht sagen. Das würde eine zu lange und auch unglaubliche Geschichte werden.«
»Unglaublich?«
»Ja.«
»Etwa Lilith?«
Nach dieser Frage erntete sie erst einmal Schweigen. Die Fremde konnte und wollte nicht sprechen, wobei Charlotte mehr auf das Wollen tippte. »Kennst du Lilith nicht?«
»Ich hörte von ihr.«
»Das ist gut, das ist sehr gut.«
»Sie hat mich hergebracht.«
Da konnte Charlotte nicht mehr. Sie mußte lachen, und diese Echos hämmerten in den Schacht hinein. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, sprach sie wieder. »Ich kann für dich nichts tun, Jane Collins. Meinetwegen kannst du dort unten verrecken!«
Charlotte sprang nach hinten, tanzte wie ein kleines Kind und kicherte auch so. Plötzlich stand ihr Plan fest. Sie würde mit dieser Person spielen, aber das Spiel sollte nach ihren Regeln laufen.
Es gab ja noch einen zweiten Zugang.
Und es gab das Beil!
Charlotte war zunächst zufrieden…
***
Jane Collins hatte in ihrem Leben genügend Erfahrungen sammeln können, um zu wissen, wenn die Chancen schlecht standen. Hier standen sie schlecht oder waren sogar vorbei, nachdem das letzte Lachen verklungen war.
Obwohl es dunkel war, schaute sich Jane um. Sie war wieder von diesen Schatten gefangen. Der widerliche Geruch umgab sie ebenfalls. Es war so vieles, was ihr nicht gefiel, und trotzdem hatte sie sich bewußt für das Stehenbleiben in der Finsternis entschieden, um über ihre Lage nachdenken zu können.
Da gab es die andere Frau.
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