098 - Horrortrip ins Tal der Toten
zu treiben. Stellen Sie sich das düstere Gemäuer vor! Nach Mitternacht löst sich im Rittersaal eine Clique auf, die bis dahin gebechert hat. Eine junge Frau geht in ihre Kemenate. Wenn sie auf dem Bett sitzt, schiebt sich von unten eine Knochenhand hervor und greift ihr eiskalt an die Wade.“
„Da kann aber was schiefgehen.“
Lecourbe grinste. „Lesen Sie mal das Kleingedruckte auf unseren Verträgen. Haftung übernehmen wir nur für An- und Abreise. Wer zu sehr erschrickt, ist selbst schuld. Schließlich bucht er eine HORRORTOUR. Im übrigen wollen das die Leute bestimmt auch. Strapaziös wird es nur für unsere Monster. Die sind Tag und Nacht im Einsatz, besonders natürlich nachts. Herrlich! Hätte ich nicht“, er klopfte an seiner fetten Brust auf eine Stelle, wo sich das Herz vermuten ließ, „eine so nervöse Pumpe, würde ich gleich mitfahren. Und die Schrecken testen.“
Madeleine zog die Schultern hoch. Vorwurfsvoll wandte sie sich an Henry. „Warum sind Sie keine Frau? Dann könnten wir zusammen schlafen, und ich brauchte mich nicht zu gruseln.“
Henry meinte lächelnd: „Zusammen schlafen? Da sehe ich gar kein Hindernis. Für das Betriebsklima ist das außerdem…“
„Langsam lerne ich Sie kennen. Ihnen darf man keinen Ball zuwerfen, wie?“
„So schöne Bälle immer. Übrigens, Chef: Schloßherr Laydell war eben da und hat unterschrieben. Sechs Franc pro Bett. Alles ist geritzt.“
„Sechs Franc?“ staunte Lecourbe.
„Ich hätte doch acht gezahlt.“
„Nicht, wenn Sie gewußt hätten, daß ich ab nächsten Ersten eine Gehaltsaufbesserung kriege.“
„So ist er“, seufzte Lecourbe. „Immer setzt er seinen Willen durch.“
In dieser Nacht senkten sich schwere Wolken auf die Schweizer Berge. Bis in die Täler reichte die Schwüle.
Der Gefangenentransportwagen des Kantons Tessin fuhr auf einsamen Paßstraßen. Das kastenförmige Auto, stabil, häßlich, mit kleinen Fenstern und Pritschen im Laderaum roch nach Desinfektionsmitteln.
Das Fernlicht geisterte die Straße entlang. Von einem Kilometerstein flog eine Gebirgsdohle auf – schwarz, mächtig, mit klatschendem Flügelschlag.
Olbrecht, der Fahrer des Wagens, hatte seine Uniformmütze neben sich gelegt. Ab und zu ließ er ein Stück Schokolade auf der Zunge zergehen.
Er war wütend, daß er nachts fahren mußte. Nur wegen diesem verdammten Burschen, diesem Mörder. Der Gedanke an die lange Strecke, die noch vor ihm lag, steigerte seine Wut noch mehr. Bis Holland. Der Kerl war ein Holländer. Gefaßt hatte ihn die Gendarmerie in Locarno. Aber nach dem Hin und Her der Behörden war verfügt worden, ihn nach Holland auszuliefern. Dort hatte er seine Verbrechen begangen. Morde, Morde, Morde! Ein Untier!
Olbrecht wischte sich den Schweiß von der Unterlippe.
Sogar die Schokolade schmeckte danach.
Im Kastenraum hinter ihm schwitzten sein Kollege Blümli und Henrik Zondern, der Mörder.
Das kleine Fenster stand offen. Olbrecht hörte, wie Zondern von Zeit zu Zeit fluchte. Er war mit Handschellen gefesselt und an die Bank gekettet. Auf die andere Pritsche hatte sich Blümli gelegt, um sich ein wenig auszuruhen. Er stand vor der Pensionierung und hielt nicht mehr viel aus. Das Führerhaus war zu eng, um sich auszustrecken.
„Wann soll ich dich ablösen?“ fragte Blümli durchs Fenster.
„Schlaf nur. Ich bin nicht müde.“
„Aber du wirst es. Sag es rechtzeitig, ja?“
„Wie wäre es“, mischte sich die scharfe Stimme des Holländers ein, „ihr laßt mich fahren? Dann könnt ihr beide pennen. Oder ist das gegen die Vorschrift?“
„Es wäre auch gegen die Vernunft“, sagte Blümli energisch. „Halten Sie den Mund!“
„Ich rede, soviel ich will. Ihr schleimigen Biedermänner könnt es mir nicht verbieten. Und wenn ich bis Holland wach bleibe, nur um euch zu schikanieren. Alter, du stinkst. Nach Käse, saurer Milch und ranziger Schokolade. Gibt es denn in der Schweiz kein Rasierwasser?“
„Hau ihm aufs Maul!“ rief Olbrecht. „Mit so einem Monstrum springt man nicht anders um.“
„Das wäre gegen die Vorschrift!“ erwiderte Blümli bedauernd.
„Ihr Schweine!“ schrie Zondern unbeherrscht. „Aber wartet nur! Ihr kommt alle noch dran.“
Etwas Graues huschte von rechts über die Straße, dicht vor dem Wagen. Olbrecht zuckte zusammen. Erkannt hatte er es noch. Ein Igel. Ein großer, dicker Igel.
Er spürte das Hindernis am Reifen, den winzigen Ruck. Ihm wurde fast schlecht. Er liebte
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