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Bank, Banker, Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker

Bank, Banker, Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker

Titel: Bank, Banker, Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Zeyer
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Eins
    Philipp Kuster ist unglücklich. Dabei hätte er eigentlich keinen Grund dazu. Als Berater von Privatkunden bei der Schweizer Kreditunion geht es ihm blendend. Nun gut, ewig die »Juwelenhalle«, das kann schon mit der Zeit eintönig werden, und das letzte Mal waren die Rösti wieder dermaßen schwarz, dass er dezent mit dem Messer die ganze obere Schicht abkratzen musste. Aber an solch kleine Unpässlichkeiten hat sich Kuster gewöhnt.
    Außerdem sitzt er im Moment ganz entspannt in seinem Loft und überblickt gelassen die gesamten hundertachtzig Quadratmeter Lebensraum, die er sein Eigen nennen kann. Dennoch ist er unglücklich. Durch die Fensterfront schaut er auf das dezente Funkeln der Lichter am Zürichsee, mit einem dezenten Schnippen seiner Finger dimmt er die Beleuchtung noch etwas weiter runter. Klare Linien, kein Firlefanz, Bauhaus, das ist sein Stil, das mag er. Aber auch im Dämmerlicht wird sein Blick immer wieder von diesem Biedermeiersekretär angezogen, der mitten im Raum steht. Seit heute. Kuster seufzt und erhebt sich vom De-Sede-Sofa, schwarzes Leder, kubisch, perfekt, Bauhaus.
    Mit nackten Füßen tappt er über den dunkelgrauen Marmorboden, angenehm temperiert durch die Bodenheizung. Ausgerechnet ein Biedermeiersekretär. Leicht zerkratzt, besprenkelt mit Tintenflecken, unangenehm dunkelbraun. Kuster hasst Dunkelbraun.
    Außerdem braucht er gar keinen Sekretär, und schon gar nicht diesen. Aber Wladimir, bisherige Einlagen über zweihundertfünfzig Millionen, zeigte sich gewillt, möglicherweise nochmals vierzig Millionen nachzuschieben. Damit hätte Kuster bereits im Mai sein Jahressoll erfüllt, der Bonus für nächstes Jahr wäre bereits gesichert, genial. Aber Wladimir wollte unbedingt von Zürich aus noch schnell einen Abstecher nach Brüssel machen, wieder zu diesem Händler für antike Möbel, bei dem sich Wladimir schon mit einem Empire-Salon für sein Haus in St. Petersburg eingedeckt hatte.
    Kein Problem, Kuster flog mit Wladimir nach Brüssel, der ließ sich ein grauenhaftes Barockensemble mit Goldverzierungen aufschwatzen, für schlappe dreihundertfünfzigtausend Euro, aber dafür soll angeblich Ludwig XIV. einmal sein königliches Hinterteil darauf platziert haben. Kuster wollte schon aufatmen und der Türe zustreben, als ihn der Händler stoppte: »Und Sie, dürfte ich Ihre Aufmerksamkeit auf diesen wunderbaren Sekretär lenken?«
    Kuster wollte schon sagen: »Vielen Dank, aber der sieht ja grauenhaft aus«, als er den aufmunternden Blick von Wladimir bemerkte.
    »Wunderbares Stück«, sagte Wladimir, »ist doch genau das Richtige für einen Banker«, und dann ließ Wladimir krachend seine Hand auf Kusters Schulter fallen. Ausgerechnet in dem Moment, als Kuster vorsichtig fragen wollte: »Wie viel?« Stattdessen ging er leicht in die Knie, zerrte ein begeistertes Lächeln auf sein Gesicht und sagte: »Gekauft.«
    Wladimir nickte anerkennend, und Kuster schluckte leicht, als er seine persönliche Kreditkarte auf die Rechnung legte: fünfzehntausend Euro. »Ein Kleinod«, sagte der Verkäufer, »braucht vielleicht etwas Auffrischung, aber ein ganz seltenes Stück, darf ich es Ihnen zusenden lassen?«
    »Natürlich«, sagte Kuster und wurde nochmals um fünftausend Euro erleichtert.
    Und heute war das Kleinod geliefert worden. Und verschandelt seither Kusters Loft. Und Wladimir hatte heute angerufen und gesagt, dass er sich das mit den vierzig Millionen doch noch mal überlegen würde, vielleicht nächstes Jahr. Seither ist Kuster unglücklich. Aber dann fällt sein Blick auf das offene Cheminée in der Mitte seines Loft. Und da kommt Kuster plötzlich eine Idee.
Zwei
    Franz Tobler hat ein Problem. Schlimmer noch: Das Problem hat nichts mit Zahlen zu tun. Also eigentlich schon, aber dann doch wieder nicht. Denn Toblers Universum besteht aus Zahlen, US-GAAP, GAAP-FER, Bilanz, Testat, Accounting, Stichproben, das ist seine Welt. Rundungsdifferenzen, stille Reserven, Goodwill, »Wir bestätigen hiermit, dass die uns vorgelegte Bilanz …«, Stempel, Unterschrift, nächster Kunde. So mag es Tobler, korrekt vom Scheitel über seinen dunkelgrauen Anzug bis zu seinen bequemen, dunkelbraunen Gesundheitsschuhen. »Tobler, Sie sind wirklich ein Zahlenfresser«, hatte Spörri gerade letzte Woche wieder zu ihm gesagt, »auf Sie können wir zählen«, und dann hatte Spörri gelacht, und obwohl Tobler den Scherz nicht ganz verstanden hatte, hatte er natürlich pflichtschuldig

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