0981 - Der Fluch des alten Kriegers
fratzenhaft häßlich, dann wieder schön, und Camacho, der völlig unter dem Einfluß der von ihm gestalteten Droge stand, hatte selbst den Eindruck, sich als körperloses Etwas zwischen all den Gestalten zu bewegen, die ihn mit heißen oder kalten Armen berührten.
Er sang weiter und merkte es kaum. Er hörte nicht auf und hatte wohl die Kontrolle über sich verloren. Er sang seinen Freunden das Totenlied, und er hoffte dabei, unter all den Geistern die der beiden im Sarg liegenden Verstorbenen zu sehen.
Sie tanzten vor ihm.
Sie schwangen mal langsam, mal schneller. Sie blieben dabei in ständiger Bewegung, als wollten sie aus zahlreichen Einzelteilen eine große Wolke mit unterschiedlichen Bildern bilden.
Waren die Frauen-und Männergesichter menschlich? Zeigten sie das Spiegelbild ihres irdischen Daseins?
Manchmal sah es für den alten Apachen so aus, dann aber gab es Momente, wo die Gestalten wieder zerflossen, eintauchten in den Rauch, um sich von dort aus neu zu bilden.
Er sang, er meditierte, er betete. Und noch immer waren seine Augen tränennaß.
Die Pupillen sahen auch nicht mehr normal aus. Ihnen fehlte der Ausdruck. Sie waren leer und bewiesen, daß der Mensch, der dort meditierte, nicht mehr derselbe war wie vorher. Auch der feurige Ausdruck war nicht mehr zurückgekehrt. Vor den beiden Särgen saß nur mehr eine Hülle.
Über den offenen Särgen verdichtete sich der Rauch aus Geistwesen, als wollte er dort eine Botschaft hinterlassen oder versuchen, die Toten aus ihrer Starre zu holen und sie so dem Leben zurückzugeben.
Gesichter zuckten, Gestalten tanzten, lösten sich wieder auf. Und alles passierte in einer so dichten Stille, daß man die berühmte Stecknadel gehört hätte.
Es war die fremde Welt, die in die normale eingedrungen war. Über den Flammen löst sich der Rauch allmählich auf. Dann sah es so aus, als wären die geisterhaften Gestalten regelrecht zerfetzt worden.
Ein tiefes Stöhnen drang aus dem Mund des alten Apachen. Ein erstes Zeichen, daß er dabei war, aus seiner Trance wieder in das normale Leben zurückzukehren.
Sein Körper zuckte.
Der Gesang drängte sich zu einem murmelnden Tonbrei zusammen, und die bleichen Wolken verschwanden allmählich.
Mit einem tiefen Atemzug saugte der Krieger die Luft ein und fragte dann, ohne seine Sitzhaltung zu verändern: »Wer ist dort gekommen…?«
***
»Wir«, sagte ich und fügte rasch hinzu: »Freunde.«
Abe Douglas und ich hatten uns nicht lange in der offenen Tür aufhalten können, denn kurz nach unserem Eintritt hatte sich der für uns fremde Mann wieder aus seiner Trance hervorgeholt.
Reste hatten wir noch zu sehen bekommen. Tanzender Rauch, und mir war es gewesen, als hätten sich darin Gesichter gezeigt, was auch eine Täuschung sein konnte.
Nur das Feuer brannte noch. Sehr kleine Flammen, kaum fingerhoch, die ebenfalls zusammensanken und schließlich verloschen, während wir mit leisen Schritten auf die beiden Särge und den vor ihnen sitzenden Apachen zugingen.
Ich schaute ebenso auf seinen Rücken wie Abe. Er saß gebeugt. Er mußte alt sein. Sein Haar war grau wie das Fell einer staubigen Maus.
Im Nacken bildete es einen dicken Zopf. Der Körper wirkte kompakt. In der sitzenden Haltung war er nach vorn gebeugt. Immer wieder holte der Mann Luft, um sich zu regenerieren.
Schließlich traten wir in den nicht mehr brennenden Kreis hinein. Die Rückstände sahen aus wie dunkler Lack.
Wir rahmten den Apachen ein. Aus seiner Perspektive mußten wir ihm hoch wie Bäume vorkommen. Im Gegensatz zu ihm konnten wir in die beiden Särge hineinschauen. Durch meinen Magen schnitt plötzlich eine scharfe Messerklinge. Ich sah den toten Yakup dort liegen und im Sarg daneben seine Partnerin.
Natürlich bauten sich wieder die Erinnerungen auf. Ich dachte an die gemeinsamen Abenteuer, die Yakup und ich durchlebt und auch durchlitten hatten.
Das war jetzt vorbei. Ihn holte niemand mehr ins Leben zurück, und auch Eva Karman nicht. Vielleicht hatte der Apache es versucht, aber er war nicht der Schöpfer.
Yakups Gesicht war schon zu seinen Lebzeiten nicht eben weich gewesen. Jetzt aber wirkte es wie geschnitzt, so starr wie eine Totenmaske.
Ich hatte schon Abschied von ihm genommen, und morgen würden wir es wieder tun, aber ich konnte jetzt, wo ich vor dem Sarg stand, das Zucken meiner Wangen und der Lippen nicht unterdrücken. Hier lag ein Freund, aber es hätte auch mich treffen können, wenn Shao nicht gewesen wäre.
Dann
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