0981 - Der Fluch des alten Kriegers
eine gewisse Wärme zu geben. So ähnlich sah der Apache dieses Kleidungsstück.
Wieder atmete er nur durch die Nase. Wieder blieb sein Gesicht unbewegt. Ein Holzschnitt, der Kinn, Nase und. Ohren aus diesem groben Klotz hervorgeholt hatte.
Und doch gab es eine Regung in diesem Gesicht. Man mußte schon genauer hinschauen, um sie zu erkennen, denn in den Augen und auch in deren Umgebung schimmerte es auf.
Es war das Tränenwasser. Die Tränen liefen an den Wangen des Apachen entlang. Hautfurchen wurden zu winzigen Bächen.
Der Krieger trauerte um seinen Freund. Die Zeit war für ihn nicht mehr vorhanden. Er befand sich in einem Zustand, wo sie einfach davonlief, ohne daß er es merkte, und er hielt seinen Blick auf den toten Freund gerichtet.
Das Wasser verschleierte die klare Sicht, und aus dem Toten wurde eine Person, die zwar noch starr lag, sich aber trotzdem in der Totenkiste zu bewegen schien.
Der Apache wischte mit dem Handrücken über seine Augen, denn er wußte plötzlich, daß der erste Teil der Trauer hinter ihm lag.
Er bewegte sich wieder. Dabei blieb er noch in dem Kreis, hockte sich vor den beiden Särgen nieder und begann mit seinem Gesang. Es war die Totenklage. Eine uralte Melodie. Sie war von Generation zu Generation weitergegeben worden, aber die meisten aus seinem Volk hatten sie vergessen. Es gab nur noch wenige Menschen, die Text und Melodie der Klage beherrschten.
Camacho gehörte zu den wenigen. Auch jetzt spielte die Zeit für ihn keine Rolle, aber er wußte genau, wann er sich erheben mußte. Das tat er mit einer geschmeidigen Bewegung, obwohl er so lange schon gesessen hatte. Um die Särge herum hatte er das Pulver verstreut, und er würde es nicht so liegenlassen. Alles hatte seinen Grund im Leben und sicherlich auch im Tod.
Das Pulver wurde aus besonderen Knollen und Wurzeln hergestellt. Er hatte sie an den heiligen Stätten seiner Ahnen gesammelt, getrocknet und zu einem Pulver gerieben, in dem noch die geheimnisvollen Kräfte der alten Götter vorhanden waren. Sie freizulassen, war nicht einfach, und nicht jeder schaffte es.
Aus seiner Hosentasche holte er die Schachtel mit den Zündhölzern. Er stieß sie auf, entnahm ihr ein dünnes Zündholz, rieb es gegen die Fläche und schaute der Flamme zu, wie sie sich die entsprechende Nahrung suchte.
Sie flackerte, als er sie bewegte und gegen den Ring aus Pulver hielt.
Sofort zischte es an dieser Stelle auf. Im Nu wurde das Pulver zu einem Feuerring, dessen Flammen etwa fußhoch über dem Boden tanzten.
Sie waren blaß. In ihren Zentren malte sich ein bläuliches Schimmern ab, als wäre dort der Geist der Götter versammelt, denen die Flammen gewidmet waren.
Nur wenig Rauch entstand, aber der süßliche Geruch breitete sich schon wie ein unsichtbarer Nebel aus, als wollte er das Innere der Leichenhalle mit einem zweiten Totenschleier bedecken.
Der Apache nahm wieder seinen angestammten Platz ein. Er hockte im Schneidersitz auf dem Boden, seine Frontseite den Särgen zugerichtet, über die er hinwegschauen konnte.
Ein bläulicher Dunst umschwebte ihn und hatte sich auch wie eine Decke über die Särge gelegt.
Minutenlang blieb der alte Krieger still. Er saß da und sah aus, als wäre er noch einmal in sich versunken, und das trotz einer tiefen Starre.
Seine Augen, die zuerst noch gezuckt hatten, bewegten sich merklich langsamer. Und sie blieben nun spaltbreit offen.
Camacho meditierte. Aus seinem Mund strömten die Worte hervor, dann sang er in der Trauerhalle. An den Wandlampen zogen dünne Schleier entlang, als wären es die Geister der Toten, die nicht weit entfernt in der feuchten Erde bestattet worden waren.
Camacho ließ sich Zeit. Seine Stimme war hin und wieder so leise, daß er sie selbst kaum hörte. Dann aber wieder hörte sie sich so schrill an, als wäre der Mann dabei, seine Not hinauszuschreien.
Er spürte den seelischen Schmerz. Er litt. Er fand es grausam, den toten zu betrauern, aber er wußte auch, daß es für ihn nur den einen Weg der alten Gesetze gab.
Und so würde er durchhalten, wie er es schon des öfteren getan hatte, wenn ein Freund zu betrauern war.
Sein Gesang setzte sich fort. Unterschiedlich laut. Mal langsam, dann wieder schneller, mal kehlig und härter, dann wieder sanfter, als wollte er alle Facetten durchprobieren, um irgendwie sein Ziel zu erreichen.
In seinen Augen schimmerte weiterhin die Feuchtigkeit. Aber es rannen keine Tränen mehr an den Wangen hinab, als wären sie durch
Weitere Kostenlose Bücher