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099 - Das Hochhaus der Vampire

099 - Das Hochhaus der Vampire

Titel: 099 - Das Hochhaus der Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas B. Davies
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als sie ihm in hastigen und nicht ganz klaren Worten mitgeteilt hatte, was sie suchte. „Bei mir war er nicht. Wann soll denn das gewesen sein?“
    „Heute nacht, nehme ich an. In seinem Zimmer brannte noch Licht, als ich eben kam.“
    „Und Sie behaupten, daß eine elektrische Störung vorläge?“
    „Seine Tischlampe ist zu Boden gefallen und zerbrochen.“
    Der Mann im weißen Kittel lachte ärgerlich auf.
    „Nehme Sie das Ding, Miß, und werfen Sie’s in den Müllschlucker. Oder wenn’s dafür zu sperrig ist, stellen Sie’s vor die Tür, da wird’s abgeholt.“
    „Vielleicht hat sich Mr. Boland ja auch nur bei Ihrem Kollegen ein Werkzeug borgen wollen, um die Lampe zu reparieren?“ wandte sie schüchtern ein. Der Mann schüttelte den Kopf.
    „Quatsch. Wir haben hier gar kein Werkzeug. Wenn was repariert werden muß, rufen wir den Service. Ihr junger Mann war bestimmt nicht hier. Und wenn er hier war, dann hat ihn Mac hinausgeworfen. Er liebt keine Störungen bei der Nachtschicht!“
    Er drehte sich zur Schalttafel um. Ann bückte sich.
    „Haben Sie etwas verloren?“ fragte der Mann.
    „Nein, es ist nichts“, sagte sie und schloß die kleine Faust um den Schnürsenkelrest, den sie aufgehoben hatte.
    „Ich glaube, ich fahre wieder hinauf und warte auf ihn“, meinte sie zögernd. „Irgendwann wird er ja wohl wieder auftauchen.“
    Er nickte ihr zu und sah ihr überlegend nach, als sie zwischen den tickenden und ratternden Schaltkästen verschwand. Er kratzte sich am Kopf und sandte einen Blick hinüber zu der Glaswand, hinter der die Abfälle in stetigem Strom herumwirbelten.
    Ann erreichte wenig später Jerry Bolands Apartment. Erst als sie die Tür hinter sich zumachte, wagte sie, die Faust zu öffnen und das bei Licht zu betrachten, was sie da unten gefunden hatte.
    Es konnte keinen Zweifel geben. Das Stück Schnürsenkel stammte von Jerry. Niemand sonst, den sie kannte, trug noch diese seitlich geschnürten Halbschuhe, wie sie früher einmal bei den Leuten in den Bergen modern gewesen waren. Jerry stammte aus dem Bergland, und oft genug hatte sie ihn mit seiner Vorliebe für die soliden, handgenähten Schuhe aufgezogen. Dies war ein Stück von der gelbbraun gewirkten Schnur, die er immer so sorgfältig band. Wieso hatte Jerry das im Tiefkeller des Hochhauses verloren? Sie betrachtete das zerfaserte Ende. Es sah aus, als habe man es mit Gewalt abgerissen. Ann schüttelte sich.
    Entschlossen nahm sie ein Glas aus dem Schrank und schenkte sich aus der Ginflasche ein. Der Gin war warm und schmeckte widerlich, aber sie trank das Glas leer.
    Plötzlich packte sie die Angst. Sie fürchtete sich davor, daß Jerry etwas passiert war und daß sie auf einmal ganz allein wäre. Sie hatten beide niemanden mehr auf der Welt und zu ihrer Liebe kam die Erkenntnis, daß sie einander brauchten, um sich nicht in der anonymen Menge der Millionenstadt zu verlieren. Ihre Hand bebte, als sie sich noch einen Gin einschenkte. Aber jetzt ging sie zu dem eingebauten Kühlschrank und nahm sich zwei Eiswürfel aus dem Fach. Nachdenklich musterte sie den Inhalt der Schalen, was sie zusammen am Vortag eingekauft hatten, war noch unberührt vorhanden. Also hatte Jerry noch nicht zu Abend gegessen, als er fortging. Sie ließ die Tür zufallen und sah sich in der Kochnische um. Mechanisch begann sie, aufzuräumen. Sie ließ heißes Wasser ins Becken laufen und wusch ab, was noch gebraucht herumstand.
    Was konnte sie unternehmen? Flüchtig dachte sie an die Polizei. Sie konnte Jerry als vermißt melden. Sein Bild und seine Personenbeschreibung würden dann eine Weile in den Polizeistationen aushängen, neben Dutzenden von anderen vermißten Personen. Vielleicht würde man unbekannte Tote und nicht identifizierte Opfer von Verkehrsunfällen und Gewaltverbrechen daraufhin untersuchen, ob sie ihm glichen. Und mit der Zeit würde Jerry ein ungeklärter Fall unter Tausenden. Sie schauderte zusammen.
    Gab es etwas, das Jerry bewogen haben könnte, das Appartement so überstürzt zu verlassen? Sicherlich ließ sich eine ganze Reihe von Motiven finden. Aber sie erklärten alle nicht, wie ein Stück von seinem Schnürsenkel in den Tiefkeller der Energieversorgung kam.
    Ann trankdas Glas aus, steckte sich eine Zigarette an und blickte aus dem Fenster. Zwischen den anderen Wohntürmen hindurch konnte sie die endlosen Reihen der Dächer über den Straßen der Stadt sehen. Aber alles verschwand schon im abendlichen Dunst, der den Himmel

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