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10 - Der Ölprinz

10 - Der Ölprinz

Titel: 10 - Der Ölprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vornehm oder noch so verwegen aussehen. Sie hat Haare auf den Zähnen und ist gewohnt, daß man ihr den Willen tut.“
    „Das habe ich freilich bemerkt. Sie alle hielten ja den Mund, als sie mir widersprach.“
    „Ja, das muß man tun, wenn man nicht ein tüchtiges Graupelwetter auf sich laden will. Dabei aber ist sie seelensgut und, wenn man sie nur reden läßt, gleich wieder um den kleinen Finger zu wickeln. Widerspruch verträgt sie freilich nicht.“
    „Das ist ein großer Fehler, wenn ich mich nicht irre. Wenn man eine Sache nicht versteht, muß man Lehre annehmen.“
    „Oh, diese Frau Rosalie versteht vieles und alles!“
    „Unsinn! Von den hiesigen Verhältnissen und wie man sich dabei zu verhalten hat, kann sie gar nichts wissen. Und wenn sich solche Szenen wiederholen, wie die heutige war, muß sie sehr gewärtig sein, nicht nur tüchtig zurechtgewiesen zu werden, sondern auch, wenn sie bei ihrem Willen beharrt, die ganze Gesellschaft in Schaden oder gar Gefahr zu bringen.“
    „Auch das dürfen Sie nicht glauben. Selbst wenn sie etwas nicht kennt und versteht, findet sie sich außerordentlich schnell hinein. Sie haben ja auch gesehen, daß sie dann einer Ansicht mit Ihnen war. Es ist immer besser, sie laufen zu lassen, wie sie laufen will, sie kommt doch stets am richtigen Fine an.“
    „Wenn Sie so sprechen, scheinen auch Sie einen großen Respekt vor ihr zu haben, Herr Kantor.“
    „Herr Kantor emeritus, wenn ich bitten darf! Es ist ja nur der Vollständigkeit wegen, weil ich meinen Abschied genommen habe und also nicht mehr im Amt bin. Ja, ich habe Respekt vor ihr, und sie verdient ihn auch. Sie ist eine tüchtige und musikalisch gebildete Frau.“
    „Aha, musikalisch gebildet, hihihihi! Komponiert sie etwa auch?“
    „Nein; aber sie spielt.“
    „Was?“
    „Ziehharmonika.“
    „Alle Wetter, das ist freilich etwas anderes! Ziehharmonika! Ein vorzügliches Instrument, wenn ich mich nicht irre! Ja, wenn sie diese spielt, so muß man Respekt vor ihr haben. Ich habe noch nie von einer Dame gehört, welche Ziehharmonika spielt.“
    „Ich auch nicht; Frau Rosalie ist die erste. Sie hat sich manchen schönen Taler damit verdient.“
    „Ah, etwa bei einer herumziehenden Damenkapelle gewesen?“
    „Nein, zum Tanz aufgespielt.“
    „Öffentlich?“
    „Ja.“
    „Bravo! Ich denke, Sie halten den Tanz für etwas Ordinäres?“
    „Das tue ich auch; hier aber lagen die Verhältnisse anders. Frau Rosalie ist nämlich eine geborene Morgenstern –“
    „Das weiß ich; sie hat es mir gesagt.“
    „Und heiratete in die Leiermühle bei Heimberg –“
    „Verwitwete Leiermüllerin“, nickte Sam Hawkens lächelnd.
    „Zur Mühle gehörte eine Schankgerechtigkeit mit kleinem Tanzsaal. Das Geschäft war vorher schlecht gegangen, bis sie sich dessen annahm. Das war wieder einmal ein in die Augen fallender Beweis, welchen Wert die edle Musika hat; sie verläßt keinen Musensohn, und auch keine Musentochter. Frau Rosalie kaufte sich eine Ziehharmonika, lernte sie spielen und zog mit derselben die tanzlustige Jugend der ganzen Umgegend an sich. Da sie selbst zum Tanz aufspielte, brauchte sie keine Musikanten zu bezahlen und nahm ein schönes Geld für sich ein, da die Tour pro Person zwei Pfennige kostete; billiger machte sie es nicht, denn wen die Musen geadelt haben, der hat die Pflicht, seinen Wert aufrecht zu erhalten. Also es wurde nicht nur getanzt, sondern auch gegessen und getrunken; das Geschäft hob sich außerordentlich, und als der alte Leiermüller starb, hinterließ er sie als eine Witwe, welche auf einem vollen Geldsack saß und sagen konnte: Kommt her und habt Respekt vor mir!“
    „Und den hatte man auch?“
    „Natürlich! Sie war die reichste Frau im Dorf, verkaufte dann später die Mühle zu einem hohen Preis und wurde hierauf die Frau unseres Schmiedemeisters –“
    „Welcher auch Respekt vor ihr hat!“
    „Warum sollte er nicht?“
    „Wie aber und aus welchem Grund kommt sie jetzt nach Amerika?“
    „Diesen vortrefflichen Gedanken habe ich ihr eingegeben.“
    „Sie? Hm! Die Frau konnte in der Heimat bleiben; sie hatte ja doch keine Not daheim.“
    „So meinen Sie, daß man nur aus Not auswandern soll?“
    „Das nicht; aber ein Zwang, ein innerer oder äußerer Zwang, ist doch meist die Ursache.“
    „War es auch hier, nämlich ein Drang, ein Stringendo nach der neuen Welt. Ich hatte ihr Bücher geborgt, und die Schmiederei ging schlecht; es gefiel ihr nicht mehr daheim.

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