100 - Des Teufels Samurai
daran wiedererkannt hätte.
Er überlegte sich verzweifelt, wie er sich Coco zu erkennen geben konnte. Doch es ergab sich keine Gelegenheit. Sie war zu weit entfernt und würdigte ihn keines Blickes.
Jetzt erschienen wieder die Kurtisanen auf der Bühne. Sie umtanzten Coco mit ihren Fächern, während sie singend die folgenden Ereignisse ankündigten.
Obwohl Dorian nicht hinhörte, entging ihm der Sinn des Singsangs nicht. Die Fächertänzerinnen sangen von der entscheidenden Auseinandersetzung bei der Brücke über einem reißenden Gebirgsbach…
Dorian fragte sich, warum Coco dieses Risiko einging. Gegen diese Übermacht konnte sie nichts ausrichten. Wenn sie Tomotada unschädlich machen wollte, hätte sie das längst schon tun müssen - als er noch eine hilflose Mumie gewesen war.
Aber vielleicht verfolgte Coco ein anderes Ziel. Es konnte auch sein, daß sie nur wegen Richard Steiner hier war…
Wenn sie von dem reißenden Wasser des Gebirgsbaches sangen, sah er ihn förmlich vor sich. Und da war eine Horde wilder Reiter: furchterregende Gestalten, wie aus einem Alptraum… Und unter ihnen ragte ein Reiter heraus. Ein Hüne mit einem schwarzen Gewand auf einem prächtigen schwarzen Pferd und einer Maske vor dem Gesicht.
Tomotada!
Der beschwörende Gesang der Fächertänzerinnen ließ die Szene so plastisch vor Dorians Augen entstehen, daß er glaubte, alles mitzuerleben, was hier besungen wurde. Was er auch anstellte, er konnte sich der Faszination der Bilder nicht entziehen. Er hatte den Eindruck, daß sich in seinem Geist etwas wiederholte, das er schon einmal erlebt hatte.
Und so war es auch. Er erhielt wieder ein Stück seiner Erinnerung an sein fünftes Leben zurück, die er in sein Unterbewußtsein verdrängt hatte. Er erfuhr auch, warum er die Erinnerung an dieses Leben verdrängt hatte - um sich selbst zu schützen.
Japan, 1606.
Wir überfielen das Dorf im Morgengrauen, als die Bewohner noch schliefen. Meine Männer ließen ihnen keine Chance zur Gegenwehr.
Obwohl das Dorf befestigt worden war und Kinjuro Yabumura, der Daimyo dieser Provinz, dreißig seiner Krieger entsandt hatte, eroberten wir es im Sturm.
Ich hatte von einem Hügel aus das Zeichen zum Angriff gegeben. Es war nicht der Mühe wert, selbst in den Kampf einzugreifen. Mit den Bauern und den paar namenlosen Samurai wurden meine Krieger allein fertig.
Mein Pferd schnaubte unruhig, als im Tal die ersten Hütten in Flammen aufgingen. Ich tätschelte ihm die Flanke.
„Nur ruhig, Dojikage", sagte ich.
Ich hatte keinen Mund, aber ich konnte durch die Maske sprechen. Die Maske war mein Gesicht.
Sie ließ mich auch sehen und hören. Mit den Augen der Maske sah ich besser als jeder Sterbliche.
Ich erinnerte mich noch manchmal an die Zeit, als ich noch nicht gewußt hatte, daß ich der Sohn einer Mujina war, und als Adoptivsohn im Palast des Daimyo Hatakeyama Yoshimune gelebt hatte. Damals schon spürte ich, daß ich anders als die anderen war. Doch erst am Tag meiner Reifeprüfung erfuhr ich die Wahrheit. Und gleichzeitig verlor ich mein Gesicht.
Ich mußte diese Maske tragen, um sehen, hören und sprechen zu können. Ich trug sie aber auch zum Schutze meiner Männer, denn wäre ich ihnen ohne sie gegenübergetreten, hätten auch sie das Gesicht verloren.
Unter meine Vergangenheit hatte ich einen Schlußstrich gezogen. Nur noch mein Milchbruder Hoichi stellte ein Bindeglied zu meinem früheren Leben dar.
Als ich ihn vor einem Jahr zuletzt gesehen hatte, schwor er mir ewige Rache. Ich bedauerte es nun, daß ich ihm damals nicht Genugtuung gegeben hatte. Dann wäre diese Angelegenheit endgültig erledigt gewesen.
Auf meinen Raubzügen hörte ich oft von Hoichi, der mir mit seiner Gefährtin Tomoe überallhin folgte… Tomoe, jenes schöne Wesen, das ich meinem Herrn und Meister, dem Kokuo von Tokoyo, zum Geschenk hatte machen wollen. Doch Hoichi und sechs Rokuro-Kubi verhinderten das. Der abstoßend häßliche Schädel an meinem Ärmel erinnerte mich stets an diese Niederlage.
Tomoe… Sie hatte sich Hoichi angeschlossen, weil ich ihre Eltern getötet hatte. Ein tapferes Mädchen. Man erzählte sich bereits viele erstaunliche Geschichten über sie. Sie konnte besser fechten als die meisten Männer und übertraf sie auch an Mut und Tapferkeit. Vor einigen Monaten, im Winter, hatte ich einen Barden ein Lied über sie singen hören…
Im Tal brannten bereits alle Hütten lichterloh. Meine Männer preschten auf ihren Gäulen durch
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