1122 - Der Prophet des Teufels
mitzubringen.
Den des Todes…
Spinn nicht! dachte der Pfarrer. Du bist verrückt! Aber er brauchte nur einen Blick auf den Fremden zu werfen, um daran zu denken, dass er sich so stark nicht irren konnte.
Er behielt seine Schrittfolge bei. Er ging nicht schneller und auch nicht langsamer. Immer gleichmäßig schritt er über die schmalen Wege zwischen den Gräbern mit den unterschiedlich hohen Steinen und Kreuzen. Die Umgebung passte einfach zu ihm. Er wirkte keinesfalls wie ein Fremdkörper. Einer wie er schien für einen Besuch auf dem Friedhof geboren zu sein.
Der Pfarrer wusste selbst nicht, was dieser Mann verkörperte. War es die Fleisch gewordene Abrechnung? War es die Rache? War er die Gerechtigkeit? War er von einem anderen geschickt worden, um den Menschen zu beweisen, dass ihr Leben irgendwann einmal beendet war? War er derjenige, von denen in Gedichten geschrieben und in Liedern gesungen wurde? Ein Botschafter? Ein düsterer Prophet und Prediger?
Alle hatten sich gedreht. Der Tote im schlichten Sarg war längst nicht mehr die Hauptperson. Der Fremde hatte diesen Platz eingenommen. Er wirkte wie jemand, der den Friedhof beherrschte. Dieses Areal war so etwas wie seine Heimat.
Zudem sah er ungewöhnlich aus. Allerdings zum Friedhof passend, und wer sich in der Mode des letzten Jahrhunderts auskannte, der hätte ihn sich dort vorstellen können.
Von seinem Gesicht war nicht viel zu sehen, weil er einen Hut mit recht breiter Krempe trug. Um die Wangen, das Kinn und auch unter der Nase schimmerte etwas Helles. Es war der graue Bart, der dem Mann gewachsen war.
Sein Körper wurde nicht von einem Mantel verdeckt, auch wenn es im ersten Moment so aussah. Trotz der Wärme hatte er ein Cape um seine Schultern geschlungen, das ungefähr in Höhe der Oberschenkel endete. Bei jedem Schritt schwang es auf und ab. Unter dem Cape trug er einen Anzug von unbestimmter Farbe, und er hatte ein weißes Hemd dazu übergestreift. Am Kragen war keine Krawatte zu sehen, sondern eine Fliege, deren dunkler Untergrund von roten Flecken bedeckt war. In seiner gesamten Aufmachung wirkte er wie ein Gentleman, der ein Jahrhundert zu spät lebte.
Er ließ sich durch die Blicke der Menschen nicht stören. Unbeirrt setzte er seinen Weg fort, und es war klar, dass er die kleine Menschengruppe am Grab besuchen wollte.
Die ersten Beerdigungsgäste fanden ihre Sprache wieder. Ein noch junger Mann lachte zuerst auf, während er den Kopf schüttelte und dann fragte: »Wer ist das denn?«
Er erntete Kopfschütteln und Schulterzucken. Auch der Pfarrer gab ihm keine Antwort, doch der Geistliche merkte, dass ihm diese Person mehr als suspekt war. Obwohl sie nichts Schreckliches an sich hatte, fühlt er sich in ihrer Gegenwart mehr als unwohl, und die Kälte auf seinem Rücken nahm zu.
Das alles kümmerte den Fremden nicht, der unbeeindruckt seinen Weg ging und dem Grab immer näher kam. Seine Arme waren ausgestreckt. Sie pendelten bei jedem Schritt, und manchmal streichelten die Hände wie liebkosend über die Kanten der Grabsteine hinweg, als wollte er ihnen etwas Besonderes gönnen.
»Der gehört nicht hierher«, flüsterte jemand.
»Genau, das ist ein Fremder.«
»War er schon mal bei uns?«
»Nein.«
Die geflüsterten Worte verstummten, denn der Fremde hatte die kleine Gruppe jetzt erreicht. Hinter den letzten Trauergästen blieb er stehen, und die beiden Frauen in seiner unmittelbaren Nähe spürten, wie sich die Haut auf ihrem Rücken zusammenzog. Sie waren nicht in der Lage, ein Wort zu sprechen und trauten sich auch nicht, sich umzudrehen, aus Furcht, dass der Mann sie ansprechen könnte.
Sie verließen sich lieber auf ihren Pfarrer, denn er war schließlich der Chef auf dieser Beerdigung.
Der Pfarrer wusste, was man von ihm erwartete, aber er bewegte sich noch nicht. Er hatte sich selten in seinem Leben so unwohl gefühlt wie an diesem Ort. Und das hing nicht mit dem Verstorbenen zusammen, es lag einzig und allein an der Gestalt des Fremden, dessen Erscheinung einfach alles verändert hatte. Er stand da, und er hatte es tatsächlich geschafft, den Friedhof zu beherrschen.
Da die Hutkrempe sehr tief gezogen worden war, gelang es dem Pfarrer nicht, einen Blick in die Augen des Mannes zu werfen. Er stellte sich vor, dass sie kalt und unmenschlich waren, aber der andere war bestimmt nicht erschienen, um nur zuzuschauen oder zuhören, was der Geistliche zu reden hatte.
»Bitte, Mister, Sie kommen etwas spät…« Endlich
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