1151 - Das Babel-Syndrom
vorgesehenen elektrischen Manuellschaltungen durch.
Nach etwa zehn Minuten hob sich eine der Plastonschürzen.
Domaschek rührte nichts weiter an, sondern kehrte zu Chthon zurück. Beklommen humpelte er ihm voraus und in den in Richtung HQ-Hanse verlaufenden Tunnel hinein.
Die Beleuchtung war deaktiviert. Nach kurzer Zeit war es so dunkel, daß Lassel sich mit der Roboterhand an der rechten Wand entlangtastete. Inzwischen hatte er sich an sie gewöhnt. Ihre Senso-Rezeptoren funktionierten genauso wie die von SERUN-Handschuhen. Im Dunkel spürte er nicht den geringsten Unterschied zu seiner organischen Hand.
Als er nach etwa hundert Metern eine Nische ertastete, atmete er auf. Wenigstens hatten sie eine gewisse Aussicht, sich in Sicherheit zu bringen, falls wider Erwarten ein Zug nahte. Außerhalb einer Nische wären sie zerquetscht worden, denn zwischen Train und Wandung war nur ein Hauch Zwischenraum.
Etwa sechzig Meter weiter spürte Lassel einen Lufthauch von vorn.
„Ein Zug!" schrie er und rannte los.
Er wußte, daß die Zeit knapp wer-den würde, wenn der Train mit voller Geschwindigkeit fuhr. Deshalb bot er seine letzten Kraftreserven auf. Der Lufthauch wurde zum Wind, der Wind zum heulenden Sturm, der sich dem verzweifelten Mann entgegenstemmte. Die Roboterhand klirrte gegen die Tunnelwandung. Irgendwann verlor Lassel einen Schuh, ohne es zu bemerken.
Vor ihm tauchte ein grellbeleuchtetes stählernes Ungeheuer auf, von einem Hochdruckzylinder vorangepeitscht, dessen „winzige Spuren vor ihm einen Sturm erzeugten.
Die Roboterhand glitt ins Leere.
Mit einem Schrei warf sich Lassel nach rechts. Etwas schloß sich hinter ihm und schirmte ihn von einer Luftwalze ab, die unter vielen tausend Atmosphären Druck stand.
Als die Panzerwand sich wieder öffnete, wankte Lassel mit weichen Knien hinaus.
„Chthon?"
Die Antwort kam aus etwa zehn Metern Entfernung.
„Alles klar, Lassel! Von hier aus gehe ich allein weiter. Ich brauche dich nicht mehr."
Lassel Domaschek zitterte.
„Er hat eine Art Weltuntergang überstanden", flüsterte er und lehnte sich an die Wand.
„Und er ist dabei weitergegangen."
„Er ist eben ein Überwesen", antwortete Digitalis Aura aus der Brusttasche des Overalls.
„Ich wette, daß wir noch viel von ihm hören werden."
„Ich werde froh sein, wenn ich ihn niemals wiedersehe", sagte der Psychologe. „Er hat sich nicht einmal bedankt. Ich brauche dich nicht mehr, hat er gesagt."
Mit weichen Knien und nur einem Schuh humpelte er den Weg zurück. Er fühlte sich leer und ausgebrannt. Falls noch ein Zug kam, würde er gar nicht erst versuchen, die nächste Ausweichnische zu erreichen ...
10.
Geoffry Waringer beendete die achte Überprüfung des Transmitters. Erschöpft nickte er Reginald Bull zu.
Bull nickte zurück.
Es war sinnlos, sich mit Worten verständigen zu wollen. Doch er und Waringer hatten es geschafft, sich mit Gesten auch über komplizierte Dinge zu verständigen - vielleicht, weil sie sich schon so lange und so gut kannten.
Bulls Gesicht wurde hart und kantig, als er in den freien Raum zwischen den beiden Transmitterschenkeln sah. Er hatte keine andere Wahl, als sich persönlich ins Kontrollzentrum der lunaren Inpotronik zu begeben. Wenn er direkt mit ihr sprach, konnten keine anderen, verwirrten Positroniken etwas verfälschen.
Das einzige Risiko bestand in der Transmission. Zwar hatte Waringer alle Kunstgriffe angewandt und sowohl diesen Transmitter als auch den in NATHAN „auf Trab" geschaltet, aber selbst ein hyperphysikalisches Genie wie er konnte nicht allen bisher, unbekannten Fremdeinwirkungen vorbeugen.
Bull klappte den Druckhelm seines SERUNS zu und aktivierte den Paratronschirm, dann stellte er sich entschlossen zwischen die Transmittersäulen und hob auffordernd den rechten Arm.
In der nächsten Sekunde verschwand das Universum - und im gleichen Moment tauchte es wieder auf. Mit dem einzigen Unterschied, daß Reginald Bull sich nicht mehr an der gleichen Stelle befand, sondern rund dreihunderttausend Kilometer weiter.
Aber was waren dreihunderttausend Kilometer gegen das Universum!
Bull sah an sich herab, dann verließ er den Transmitterkreis, schaltete den Paratronschirm ab und klappte den Druckhelm zurück. Verstohlen tastete er über sein Gesicht. Ebenso verstohlen atmete er auf.
Er schien der alte geblieben zu sein.
„NATHAN?" fragte er, denn hier konnte er überall mit der Inpotronik Verbindung aufnehmen.
Ein an- und
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