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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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allein in sie Verletzungen einschrieb, hinter sich. Als die Leute von Bosco Martese diesen verstört wirkenden Trupp ankommen sahen, diese Zigeuner und Chinesen, blickten die paar hundert Menschen, die noch da waren, die sich an das bis zum Zerreißen gespannte Seil der Wirklichkeit klammerten, ihnen nicht ins Gesicht und betrachteten sie einfach als eine neue Gruppe, die es einzubinden galt. Es herrschte eine angespannte Stille, die Luft war aufgeladen. Es hatte, davon kündete alles, ein Sprung ins Ungewisse stattgefunden. Nachdem die etwa hundert Entkommenen die unsichtbaren Grenzen des Versammlungslagers überschritten hatten, fielen ihnen hier eine ordentliche Reihe von Zelten, dort ein Versteck mit Teilen von Artillerie unter einer Plane ins Auge. Ein Waffenlager, davor Wachen. Stehend. Es war offenkundig, dass sich alle im Alarmzustand befanden. Sie hörten, wie Englisch gesprochen wurde, sie hörten Kinder. Das war kein Stückchen der Abruzzen, kein Stückchen von Italien, sondern eine Synthese unter freiem Himmel, und man nahm sie mit großer Selbstverständlichkeit dort auf. In dem Moment wurde den Chinesen kurz schwindelig. Vor einem Zelt erblickten sie vier von ihresgleichen, die sich ebenfalls auf den Weg nach Bosco Martese gemacht hatten. Da wurde ihnen klar, dass die anderen das Lager ein paar Stunden oder sogar Tage vor ihnen verlassen haben mussten, was diese bestätigten. Das bedeutete, dass Isola in aller Heimlichkeit von selbst auseinandergebrochen war. Somit waren diese vier, als sie an dem Morgen entwischt waren, ihnen bereits vorausgegangen. Sie hatten andere Wege gewählt, denn sie hatten weder Tossicia noch die Erinnerungen an Tossicia aufwecken wollen, und den Sammlungsort vier Tage früher erreicht. Sie sahen den Neuankömmlingen an, dass sie nichts von dem, was hier geschah, verstanden und auch nicht verstehen konnten. Man musste es ihnen erklären. Sie setzten sich, lächelten einander zu, gaben sich einer nach dem anderen die Hand. Sie tauschten sich kurz darüber aus, auf welchen Wegen sie hergekommen waren. Genau genommen hätte man auch erklären müssen, warum man weggegangen war, ohne den anderen Bescheid zu sagen. Das ersparten sie sich. Schließlich hatte jeder sich mit einem Schwung aus Isola losgerissen, und in dem entstandenen Luftzug waren viele zurückgeblieben, die nicht ihr Glück gehabt hatten. In dem Punkt hatten sie etwas gemeinsam. Außerdem hatte ihre Vergangenheit schlagartig jegliche Bedeutung verloren. Die Gegenwart, hier im Unterholz, nahm den gesamten Raum ein. Und die Gegenwart, die brannte, das war die Schlacht, die gerade am Tag zuvor stattgefunden hatte. Und sie erzählten ihnen davon.
    Bereits das Wort Schlacht verriet ihnen, dass etwas Radikales, nie Dagewesenes geschehen war. Es war ein Wort, das für Dinge reserviert war, die sich in weiter Entfernung abspielten, ein Wort aus den Zeitungen, wie es Pater Tchang gebrauchte, wenn er ihnen daraus vorlas und an sie weitergab, was er an Neuigkeiten über den Krieg in Italien und anderswo, manchmal auch in China, in Erfahrung hatte bringen können. Aber trotzdem war es auch ein Wort, das zu erwarten gewesen war. Jedem war klar, dass diese Versammlung in Bosco Martese den Wiederbeginn der Kämpfe bedeuten würde.
    Sie erzählten ihnen davon, wie sie an jenem Ort eingetroffen waren, von der Aufregung und der Ordnung, die geherrscht hatten. Alles war so schnell gegangen, in jenen Septembertagen. Als die Chinesen die Mischung aus Lager und Kloster verließen und ein paar Tage lang durch die Wälder streiften, um ihre Haut zu retten, war Bosco Martese aus dem Nichts aufgetaucht, vielleicht aber auch aus dem Geist von ein paar Männern, die sich auf einmal nicht mehr hatten vorstellen können, dass Bosco Martese nicht stattfinden würde. Und dann hatte es sich herauskristallisiert. Menschen, die sich in Teramo von einem Bürgersteig zum anderen kaum merklich zulächelten, die seit einiger Zeit bestehende stumme Komplizenschaft zwischen Kommunisten, Aktionspartei und Militär hatte also einen konkreten Tag gewählt. Gesicherte Informationen wurden an einer Straßenecke ausgetauscht. Treffen, die nur wenige Sekunden dauerten und bei denen Befehle gegeben, Allianzen besiegelt, die Rollen verteilt wurden. Man stelle sich die entscheidende Szene vor, in der Mario Capuani, zusammen mit Orsini der Architekt des Aufstands, jedem seinen Platz zugewiesen hatte. Und in der jeder diesen akzeptiert und sich gleichzeitig im Stillen

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