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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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angetroffen und bereits berührt hatten, sprechen und sie kennenlernen. Vielleicht würden sie mit ihnen gemeinsam weitergehen, vielleicht auch nicht. Darüber würden sie entscheiden, sich vielleicht sogar aufteilen. Eine Wahl treffen. Es würde sich schon bald abzeichnen. So oder so war die Erschütterung bereits über sie gekommen, zu dieser bestimmten Stunde, an diesem bestimmten Ort. War zu ihnen zurückgekommen. Tossicia lag wenige hundert Meter hinter ihnen. Es war kühl, die Luft war frisch, und der Nachmittag ging langsam zu Ende. Es war Ende September 1943 . Sie waren Menschen. Das war ein klares Gefühl.
     
    Nicht lange, und die Zeit für Erklärungen war gekommen. Sie erfuhren, dass die Gruppe, der sie sich zufällig angeschlossen hatten, die Zigeuner aus Tossicia waren, welche in dem Durcheinander ebenfalls ihre kollektive Flucht organisiert hatten. Sie standen den Menschen gegenüber, die ihre Träume ihnen als Beispiel für schlimmeres Unglück als das ihre gezeigt hatten. Sie hatten sich versammelt und nahmen sie freundlich auf. Sie erzählten einander auf Italienisch ihre Geschichten, was vor der Schwelle gewesen war. Die Zigeuner waren in Slowenien bei Razzien verhaftet worden, als das Gebiet ans faschistische Italien angeschlossen wurde. Man hatte den Bewohnern versprochen, sie zu vollwertigen Mitgliedern des Königreichs Italien zu machen. Das war schriftlich festgehalten worden. Die Zigeuner aber waren in Lager gekommen, darunter die schlimmsten. Die Zigeuner aus Tossicia gehörten alle zu ein paar wenigen Familien, vor allem zu den Hudorovič und den Levakovič. Der Lagerkommandant von Tossicia hatte ihnen mit seinen Worten erklärt, dass die Regierung nicht wollte, dass diese unkontrollierbaren Nomaden länger in Freiheit lebten: Er hatte mehrmals wiederholt, dass man sie hier einsperrte, weil sie »unzeitgemäß« waren. Das waren seine Worte gewesen. Sie hatten die Zigeuner geprägt. Dieses eine Wort war die angebliche Zauberformel, die als Erklärung für ihre Deportation herhalten sollte. Anhand dieses Wortes, mit dem man sie abspeisen wollte, hatten sie ihre Wut und ihre Empörung genährt. Es war ein dürftiges Wort, eins von den Worten, welche die Regierung in die Höhe hielt, ohne sich gewahr zu werden, welches elende Bild sie damit abgab. Es waren die Worte einer senilen, gewalttätigen Macht, und als sie sie hörten, mussten ein paar der Chinesen unwillkürlich noch einmal daran denken, wie ihnen vor Tossicia die Erinnerung an die zerstückelte Zeit wieder hochgekommen war. Sie überlegten, dass die Lagerleitung offenbar eine Phobie gegen das Vergehen von Zeit hatte und sich, indem sie während ihres Aufenthaltes die Reste davon schändete, wohl auf diese Methode der Vernichtung spezialisiert hatte. Die Vergangenheit war schnell abgehandelt. Alle wussten von der Existenz der anderen, die beiden Lager waren nicht weit voneinander entfernt. Ein paar von den Chinesen, die die Erlaubnis gehabt hatten, sich nach Teramo zu begeben und die auf ihrem Weg durch Tossicia gekommen waren, hatten die besagten Zigeuner, die ihre Träume bevölkerten, dort sehen und feststellen können, dass das Lager sich offenbar nicht verändert hatte. Daher kamen ihnen manche von den Gesichtern bekannt vor, von denen sie vor ein paar Monaten spontan den Blick abgewandt hatten. Aber an dem Tag waren die Gesichter offen, und die Zukunft wurde gefertigt. Man räumte die Vergangenheit beiseite und nahm die Gegenwart in Angriff. Die Botschaften hatten in der Gegend umfassend die Runde gemacht. Die Zigeuner-Klans waren auf dem Weg nach Ara Martese. Als die Chinesen ihnen erklärten, dass das auch ihr Ziel sei, sahen sie darin eine Bestätigung für die offenbare Bedeutsamkeit dieser Versammlung. Sie verstanden jedoch nicht so ganz, was diese Männer dort wollten. Das Lager in Isola war ihnen als ein erträgliches Lager beschrieben worden, als eine Art erzwungener Stillstand, wo den dortigen Gefangenen zumindest das Schlimmste erspart blieb. Wie kam es, dass diese Chinesen solch einen starken Willen zu kämpfen entwickelt hatten? Auf welch verschlungenen Wegen war ihr Geist dorthin gelangt? Keiner von ihnen konnte gut genug Italienisch, um diese Fragen zu beantworten, die im Übrigen auch niemand stellte. Man verstand einander nur annähernd, und das rief ein Gefühl hervor, das eine Mischung aus Distanz und Respekt war. Dieses Gemisch überraschte sie. Es tauchte ohne Vorwarnung auf. Es war so anders als alles, was

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