12 - Im Auge des Tigers
empfiehlt.« Caruso zuckte erneut die Achseln, doch dann sagte er geradeheraus, was ihm durch den Kopf ging: »Ich schätze, für mich und meine Marines ist die Sache ganz gut gelaufen – warum, kann ich Ihnen allerdings beim besten Willen nicht erklären.«
»Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken, Captain. Wenn die Kacke am Dampfen ist, haben Sie keine Zeit, noch groß-
artig nachzudenken. Das erledigen Sie vorher, wenn es darum geht, wie Sie Ihre Leute ausbilden und wem Sie welche Verantwortung übertragen. Sie bereiten sich mental auf das Gefecht vor, aber Ihnen ist immer klar, dass Sie nicht im Voraus wissen können, wie es dann im
Detail abläuft. Wie dem auch sei – Sie haben wirklich durchweg hervorragende Leistungen erbracht. Hardesty war schwer beeindruckt von Ihnen – und der Bursche stellt wirklich keine geringen Ansprüche. Die Folge ist nun das hier«, schloss Broughton.
»Ich verstehe nicht, Sir…«
»Die Firma will mit Ihnen reden«, verkündete der M-2.
»Die Agency ist gerade auf Talentsuche, und Ihr Name ist im Gespräch.«
»Wofür genau, Sir?«
»Das hat man mir nicht mitgeteilt. Die suchen Leute für Einsätze vor Ort. Ich glaube nicht, dass es um Spionage geht. Wahrscheinlich eher um den paramilitärischen Zweig der Firma. Ich könnte mir vorstellen, dass es was mit der neuen Antiterror-Abteilung zu tun hat. Ich kann nicht behaupten, dass ich begeistert wäre, einen viel versprechen-den jungen Marine zu verlieren. Aber ich habe in dieser Angelegenheit nicht mitzureden. Es steht Ihnen frei, das 17
Angebot abzulehnen, aber hingehen und mit denen reden müssen Sie in jedem Fall.«
»Verstehe.« Was eigentlich nicht der Fall war.
»Vielleicht hat sich da jemand an einen anderen Ex-Marine erinnert, der es dort oben weit gebracht hat…«, bemerkte Broughton halb zu sich selbst.
»Sie meinen Onkel Jack? Herrgott – entschuldigen Sie, Sir, aber von meinem ersten Tag in der Grundausbildung an habe ich genau das immer zu vermeiden versucht. Ich bin ein ganz normaler Captain bei den Marines, Sir. Und etwas anderes will ich auch gar nicht.«
»Gut«, war alles, was Broughton darauf erwiderte. Er sah einen außerordentlich fähigen jungen Offizier vor sich, der den Marine Corps Officer’s Guide von vorn bis hinten gelesen und alles Wichtige daraus verinnerlicht hatte. Allenfalls ein bisschen zu ernsthaft mochte er sein, aber so war er, Broughton, selbst auch einmal gewesen. »Also, Sie werden da oben in zwei Stunden erwartet. Von einem gewissen Pete Alexander, der selbst mal bei den Special Forces war.
Hat damals in den achtziger Jahren für die Agency den Afghanistan-Einsatz mit durchgezogen. Kein übler Bursche, hab ich mir sagen lassen, nur dass er sich seine Talente nicht selbst ranzüchten will. Seien Sie auf der Hut, Captain«, sagte er abschließend.
»Jawohl, Sir«, versprach Caruso. Er stand auf und nahm Haltung an.
Der M-2 verabschiedete seinen Besucher mit einem Lä-
cheln und dem traditionellen Gruß der United States Marines: »Semper fidelis, mein Sohn.«
»Aye, aye, Sir.« Caruso verließ das Büro und nickte Gunny zu. Er ignorierte den Lieutenant Colonel, der sich seinerseits nicht die Mühe machte aufzublicken, und stieg die Treppe hinunter. Dabei fragte er sich, in was für eine Sache zum Teufel er da gerade hineinzugeraten drohte.
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Hunderte Meilen entfernt kam einem anderen Mann, der ebenfalls Caruso hieß, gerade der gleiche Gedanke. Das FBI hatte sich in Bezug auf die Ermittlung in Fällen von Men-schenraub über die Grenzen von Bundesstaaten hinweg bereits in den dreißiger Jahren, kurz nach dem Inkrafttreten des Little Lindbergh Act, seine führende Stellung unter den wichtigsten Strafverfolgungsbehörden Amerikas gesichert.
Der Erfolg der Behörde bei der Aufklärung solcher Verbrechen führte schließlich dazu, dass die Zahl der Lösegelder-pressungen drastisch abnahm. Es gelang dem FBI, jeden einzelnen dieser Fälle abzuschließen. Bald hatte jeder Kriminelle, der halbwegs bei Verstand war, begriffen, dass man von dieser Art Verbrechen besser die Finger ließ. Jene Erkenntnis setzte sich auf Jahre hinaus durch – bis Entführer auf den Plan traten, denen es nicht um Lösegeld ging.
Und diese Leute waren wesentlich schwerer dingfest zu machen.
Penelope Davidson war an diesem Morgen auf dem Weg zum Kindergarten verschwunden. Ihre Eltern hatten bereits eine Stunde nach dem Verschwinden ihres Kindes die Polizei vor Ort verständigt, und wenig
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