12 Tante Dimity und der Wilde Westen (Aunt Dimity Goes West)
träumte ich von nichts anderem mehr.
Ich war es leid. Abaddon war dahingegangen, ein schicksalhafter Blitzschlag hatte ihn getroffen und ins wogende Meer geschleudert. Doch in mir lebte er weiter, ein lästiger Untermieter, der sich auch den hartnäckigsten Forderungen, er möge endlich ausziehen, widersetzte. Ich war verzweifelt, ich musste ihn loswerden, denn er verwandelte alles in ein riesiges Chaos, das langsam auf alle abfärbte, die ich liebte.
Meine lebhaften, robusten Söhne hatten das Zusammentreffen mit Abaddon unbeschadet überstanden, aber sie schlichen nur noch auf Zehenspitzen durch das Haus und sprachen mit unnatürlich gesenkter Stimme davon, dass »der böse Mann Mummy wehgetan hat«. Annelise Sciaparelli, die unersetzliche Nanny der beiden, ging in meiner Gegenwart wie auf Eierschalen, da sie nie genau wusste, was ich im nächsten Augenblick tun würde, ob ich in Tränen ausbrechen, sie anfahren oder in stumpfem Schweigen dasitzen würde. Mein Ehemann, ein hochbezahlter Anwalt mit einer gutbetuchten internationalen Klientel, hatte sich so viele Stunden freigenommen, dass einige seiner Mandanten sich wahrscheinlich fragten, ob er in den Ruhestand getreten oder gar gestorben sei. Ich selbst schlief so schlecht, dass ich keine Energie mehr besaß, für die Blumenarrangements zu sorgen, bei den greisen Nachbarn vorbeizuschauen und meinen Beitrag zu der großen Kette des Tratsches zu leisten, die alle in Finch verband. Nie mehr würde sich meine Welt ruhig um die eigene Achse drehen, bis ich mich ein für alle Mal von Abaddon befreit hatte. Aber ich wusste nicht, wie ich ihn loswerden konnte.
Stanleys sanftes Schnurren verwandelte sich in ein lautes Brummen, als Bill ins Schlafzimmer zurückkehrte, ein Silbertablett mit einer Tasse Tee in der Hand. Im Grunde war Stanley Bills Kater. Es gefiel ihm, dass Bill zu Hause blieb, um sich um mich zu kümmern. Meine andauernden Beschwerden waren in mancherlei Hinsicht das Beste, was Stanley passieren konnte.
Bill stellte das Tablett auf meinem Nachttisch ab und rieb sich die Augen. Ich starrte auf die dampfende Tasse, und Schuldgefühle senkten sich auf mich herab wie ein bleierner Umhang. Mein Mann war Mitte dreißig, er war aufgeschlossen und attraktiv und extrem gut in seinem Job. Die halbe Nacht hatte er vor seinem Computer gesessen, und nun brachte er mir Tee, während der Morgen dämmerte. Es war nicht gerecht. Er sollte die europäische Zweigstelle der angesehenen Anwaltskanzlei seiner Familie führen und nicht den Krankenpfleger für seine indisponierte Frau spielen.
»Hast du was dagegen, wenn ich noch eine Mütze Schlaf nehme?«, fragte er gähnend.
»Koste es aus«, antwortete ich. »Nimm zwei.«
Bill kroch ins Bett zurück, und Stanley verließ meinen Schoß, um sich an Bills Kniekehlen zu schmiegen. In der Stille trank ich meinen Tee und raffte mich dann auf, ins Bad zu gehen, um mich für einen neuen Tag zu rüsten. Er würde hektisch werden, denn heute fand die Parade statt.
Die Parade, Bill hatte sie so getauft, war das, was eine enge Gemeinschaft aufführt, wenn einem der ihren ein Missgeschick widerfahren ist. Da mein Missgeschick ein besonders spektakuläres gewesen war, war unsere Parade zu einem wichtigen gesellschaftlichen Ereignis geworden. Niemand wollte von einem Geschehen ausgeschlossen sein, das für Schlagzeilen in der Times würdig befunden worden war. Einmal in der Woche – sonntags – riss der Strom der Nachbarn vor unserer Türschwelle nicht ab, die Geschenke brachten und sich im Widerschein meines unfreiwilligen Ruhmes sonnten.
»Und heute ist Sonntag«, murmelte ich und schloss die Badezimmertür. »Dusche, Frühstück, Kirche und los geht die Show.«
Als ich fertig war, waren auch Will und Rob bereits wach, und als Annelise und ich sie angezogen hatten, war auch Bill wieder aufgestanden, und wir machten uns geschlossen auf in die Küche, um ein herzhaftes Frühstück einzunehmen. Wir räumten den Tisch gerade ab, als es an der Haustür klingelte. Annelise brachte die Jungen rasch in den Garten – sie überdrehten am Tag der Parade regelmäßig – und Bill machte die Tür auf.
»Wer war das?«, fragte ich, als er in die Küche zurückkam.
»Terry Edmonds«, antwortete Bill.
Ich wollte gerade einen Teller in den Geschirrspüler tun. Nun sah ich ihn verblüfft an. Terry Edmonds war kein Nachbar. Er war ein Kurier, der des Öfteren juristische Dokumente für Bills Firma abholte oder brachte.
»Seit wann arbeitet
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