120, rue de la Gare
einen Gabardinemantel“, bat ich, während ich mich vor dem Spiegel drehte. „Einen Hut brauche ich nicht. Meine Baskenmütze reicht.“
„Wirklich? Wär das alles?“ fragte er. „Ich könnte Ihnen noch mein Rasiermesser leihen, Ihre Schuhe putzen, Ihnen meine Lebensmittelmarken und die Adresse meiner Freundin geben...“
„Das heb ich mir fürs nächste Mal auf“, sagte ich. „Bis heute abend dann. Und bringen Sie die Informationen über die sadistischen Bücher mit!“
Der Geist von Jo Tour Eiffel
Die Nr. 40 der Rue de la Monnaie war ein drittklassiges Hotel (Zimmervermietungen monatlich und tageweise), aber es war sauber. Der Inhaber, eine Art ehemaliger Boxer, rauchte Pfeife neben einem kümmerlichen Kaminfeuer und hörte sich mit skeptischer Miene das Gejammer eines Arabers an. Wahrscheinlich bat der Mann um Zahlungsaufschub.
Als der Nordafrikaner sich verdrückt hatte, stellte ich mich dem patron als ein Verwandter von Colomer vor, der über dessen plötzlichen, unerklärlichen Tod äußerst betrübt sei. Der Krieg habe uns getrennt, ich sei grade in Lyon angekommen, als... usw. Das handgestrickte Märchen spickte ich an den geeigneten Stellen mit angedeutetem Schluchzen.
Der Hotelier glaubte, was er wollte, und erging sich in Lobreden über den Verstorbenen. Ja, ein netter junger Mann sei das gewesen, ordentlich und korrekt, seine Miete habe er immer pünktlich gezahlt. Nicht so wie diese verdammten Araber, alles Schnorrer...
„Ob er Detektiv war? Vielleicht“, antwortete er auf meine Frage. „Steht ja in den Zeitungen. Sah aber gar nicht so aus. Jedenfalls hat er sich gut verstellt. Na ja, war ja auch sein Beruf, hahaha!“
Er brach sein Lachen sofort ab, als er merkte, wie unpassend sein Heiterkeitsausbruch in den Ohren eines tief betrübten Hinterbliebenen klang.
„Und seine Verlobte?“ bohrte ich weiter. „Haben Sie die in letzter Zeit gesehen?“
„Seine Verlobte? War er denn verlobt?“
„Ja, mit einem netten Mädchen. Die wird verrückt, wenn sie das hört... Aber vielleicht weiß sie’s ja schon. Sie hat bis vor kurzem in Marseille gewohnt. Ich dachte, sie war zu Robert gezogen. Hier, ihr Foto. Haben Sie das Mädchen nie gesehen?“
„Nein, nie... Verdammt, ein schönes Kind!“
„Sie sagen’s! Armer Robert...“
Ich erzählte ihm auch von Bobs Schwester. Hatte ihn kürzlich besucht, nicht wahr? Nein? Ach, dann brachte ich das wohl durcheinander, bestimmt hatte sie den anderen Bruder besucht. Ja, allerdings, eine kinderreiche Familie... Ich stellte noch ein paar uninteressante Fragen. Dementsprechend waren auch die Antworten. Seit dem... der... äh... dem Unfall (Schluchz!) sei keine Post gekommen? Nein, Monsieur. Überhaupt habe Monsieur Colomer sehr wenig Post gekriegt. Hin und wieder ‘ne Interzonenkarte von seinen Eltern.
Ich verabschiedete mich von dem patron und überquerte die Saône. Im Justizpalast fragte ich nach Kommissar Bernier. Ich hatte Glück. Er war in seinem düsteren Büro.
„Guten Tag“, begrüßte er mich aufgeräumt. „Na, wieder auf den Beinen? Wie geht’s? Werd Ihnen besser ganz vorsichtig die Hand geben, sonst verrenk ich Ihnen noch den Arm...“
„Nur zu“, erwiderte ich. „Bin wieder vollkommen in Ordnung. Ein richtiger Mann hält was aus. Und, sind Sie mit der Untersuchung vorangekommen?“
Der Kommissar schob mir einen wackligen Stuhl hin (wohl den für besonders schwierige Verhöre) und bot mir eine Zigarette an. Ich lehnte ab, weil ich lieber Pfeife rauche. Mit einem billigen Feuerzeug zündete Bernier seine Zigarette an und gab auch meiner Pfeife Feuer.
„Ich kann doch offen mit Ihnen reden, oder?“ erklärte er, so als wäre ich naiv genug, das zu glauben. „Also, wir schwimmen. Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht auf dem laufenden gehalten habe, aber ich hab viel zu tun. Ihr Mitarbeiter war verteufelt undurchsichtig. Wir konnten nicht viel über ihn rauskriegen. Was diesen Bankräuber betrifft, Villebrun, der ist tatsächlich in der Zeit, die Sie genannt haben, in Nîmes entlassen worden. Aber wir haben seine Spur verloren. Dafür konnten wir aber hier direkt in Lyon einen seiner ehemaligen Komplizen auftreiben. Er hat Colomer jedoch nicht umgebracht, für die Zeit hat er ein Alibi.“
„Ach, wissen Sie! Alibis…“ warf ich ein.
„Seins ist wasserdicht. Ungefähr zehn Stunden vorher wurde er auf frischer Tat ertappt, beim Taschendiebstahl.“
„Na, so was!“
„Selbstverständlich haben wir ihn verhört. Er
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