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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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gegönnt und war beim Baden ertrunken. Die Juweliere atmeten auf. Die Polizei auf der ganzen Welt ebenfalls.
    Was hatte Colomer dazu veranlaßt, diese Zeitungsartikel zu sammeln? Ich las die Berichte von damals genau durch.
    „Eröffnet Ihnen das neue Horizonte?“ fragte der Kommissar, als ich die Zeitungsausschnitte zusammenfaltete.
    „Nein. Jo Tour Eiffel ist jedenfalls nicht der Täter“, antwortete ich und klopfte auf das Foto des Gangsters, das einen der Artikel illustrierte.
    „Nun ja, weiß man’s genau?“ Bernier lächelte. „In einer Stadt wie Lyon, voller Spiritisten, Theosophen und dem ganzen albernen Volk... Wäre es da so außergewöhnlich, wenn ein Geist aufträte?“
    Es wurde so langsam spät. Ich erhob mich von dem knarrenden Stuhl.
    „Auf dem Weg zu Ihnen bin ich durch die Rue de la Monnaie gegangen“, sagte ich. „Wollte nur etwas Atmosphäre schnuppern. Ich hab nichts Besonderes entdeckt und hätte Ihnen meinen Umweg verschweigen können. Aber ich bin fast sicher, daß der patron von Colomers Hotel Sie über meinen Besuch informieren wird. Nicht daß Sie sich auf eine falsche Spur stürzen... Ich hab mich als Verwandten von Bob ausgegeben, hab alles mögliche erzählt, von seiner Verlobten, seiner Schwester, seiner Tante, sogar von den Masern, die Bob als Kind hatte. Ohne konkretes Ergebnis. Der patron redet viel, ohne was zu sagen. Außerdem hab ich das Gefühl, daß er nicht viel weiß...“
    Kommissar Bernier bedankte sich für meine Offenheit und brachte mich zur Tür.
    „Besser, wir spielen miteinander nicht Versteck“, sagte er zum Abschied.
    Ich nickte ernsthaft. Als ich dann die feuchte Treppe hinunterging, mußte ich aber doch grinsen.

Informationen über Colomer

    Drei Einheimische, die ich im Nebel anrempelte, fragte ich nach dem Weg von der Place Bellecour zur Rue Alfred-Jarry. Nachdenklich ging ich zur Wohnung des Anwalts.
    Colomer hatte ganz plötzlich das Bedürfnis verspürt, nach Paris zu fahren. Deswegen hatte er nicht gezögert, heimlich die Demarkationslinie zu überschreiten. Er hatte zwei Fahrkarten nach Saint-Dingsbums gekauft. Warum zwei? Wahrscheinlich war die Person, die ihn begleiten wollte, mit dem Zug nach Lyon gekommen und bereits auf dem Bahnsteig. Und wer? Das Mädchen in dem Trenchcoat? Der Mörder? Wenn ich meinen Augen trauen konnte, waren das Mädchen und der Mörder ein- und dieselbe Person. Natürlich hatte ich Bernier gegenüber stark bezweifelt, daß Colomer die Bahnfahrt für seinen Mörder bezahlt haben könnte; das gehörte zu unserer gemeinsamen Politik gegenseitiger Offenheit. Leeres Geschwätz und Blabla. Ja, wenn Colomer tatsächlich kopflos gewesen wäre, wie der Kommissar behauptete, dann wären die Zweifel berechtigt gewesen. Aber obwohl ich Bob nur ein paar Sekunden gesehen hatte, konnte ich mit Bestimmtheit sagen: Nein, kopflos hatte er nicht gewirkt. Aufgeregt, sicher, aber ohne die geringste Spur von Angst. Und als er von den Kugeln getroffen worden war, hatte sein Gesicht Schmerz ausgedrückt... und Überraschung. Damit hatte Bob nicht gerechnet!
    Auf jeden Fall hatte das Reiseziel 120, rue de la Gare geheißen. Die Adresse hörte sich an wie das Lösungswort eines Rätsels. Schon einmal war sie mir unter ebenso dramatischen Umständen zugeflüstert worden. Welche Verbindung gab es zwischen dem Mann ohne Gedächtnis und meinem Mitarbeiter? Und welche zwischen der Rue de la Gare im 19. Arrondissement von Paris und der Rue de la Monnaie hier in Lyon? In beiden Straßen wohnten Araber...
    Tief in meine Grübeleien versunken, trat ich unabsichtlich jemandem auf die Füße. Da ich ihm diesen Schmerz nicht unnötig zufügen wollte, fragte ich ihn nach der Rue Alfred-Jarry. Er antwortete, ich stehe mittendrauf.
    Das Haus Nr. 16 sah sehr ordentlich aus. Der Mieter im Erdgeschoß hielt, was die Fassade versprach. Ein wortkarger Hausdiener mit kränklichem Aussehen führte mich in ein großes Büro, in dem mich ein Mann erwartete, Zigarette im Mund.
    Maître Julien Montbrison schien nicht übermäßig unter den schlechten Zeiten zu leiden. Er war dick und rund und gutgelaunt, so wie ich ihn von Paris her kannte. Seine Leibesfülle wirkte gemütlich, ganz und gar nicht ordinär. Eine elegante Erscheinung von gewisser Vornehmheit. Der einzige Mangel an Geschmack offenbarte sich an seinen Händen: Monsieur Montbrison liebte es, seine Finger mit Ringen zu bestücken wie ein Neureicher. Und darüberhinaus verriet die Wahl der Ringe eindeutig

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