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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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entdeckt, zwischen Tintenfäßchen, Klebstofftuben und ähnlichem Zeug. In dem Fläschchen sind die ,Ersparnisse’ von Jo Tour Eiffel!“
    „Giftige Tabletten?“
    „Giftig nicht, aber tödlich. Dafür brauchen sie gar nicht geschluckt werden.“
    Ich bat Hélène — meine Sekretärin! — den Verschluß des Fläschchens aufzuschrauben und eine der Pillen mit meinem Taschenmesser anzukratzen. Als die Gipsschicht absprang, hielt Hélène eine blitzblanke Perle in der Hand.
    „In dem Fläschchen sind rund fünfzig davon“, sagte ich. „Der Wert dürfte in ich-weiß-nicht-wieviele Millionen gehen.“

    * * *

    „Haben Sie inzwischen rausgekriegt, welches Papier Parry an das Testament geheftet hatte?“ fragte mich Faroux.
    „Nein. Auf jeden Fall können wir davon ausgehen, daß es irgend etwas war, das seine Tochter zu den Perlen führen sollte. Ein Bild mit einem Fläschchen, zum Beispiel... Ausgeschnitten aus einer Illustrierten, von der Bébert ein anderes Blatt zu einer Tüte für seine Kippen geformt hat.“
    Inzwischen schien Montbrison seine Gelassenheit wiedergefunden zu haben — falls er sie überhaupt jemals verloren hatte. Im Plauderton erzählte er uns, unter welchen Umständen er Georges Parry kennengelernt hatte. Montbrison war vor einigen Jahren der Assistent des Anwalts gewesen, der den Gangster verteidigt hatte. Das wußte ich schon aus meinen Studien in der Bibliothèque Nationale. Jo Tour Eiffel besaß Menschenkenntnis und erkannte sofort, wie er Montbrison für seine Zwecke einspannen konnte. Jetzt kam die Sprache auf Jalome alias Carhaix.
    „Er war ebenfalls in dem Landhaus. Hélène und er gingen manchmal zusammen aus. Er kannte das Mädchen schon seit ewig. Hatte ihr erzählt, er sei endgültig solide geworden. Hélène Parry ist nämlich ein anständiges Mädchen. Sie haßt nichts mehr als die Unterwelt...“
    „...was sie nicht davon abhält, unanständiges Geld anzunehmen“, warf ich ein.
    „Sie hat keinen Beruf erlernt“, verteidigte sie der Anwalt achselzuckend, „und von irgendwas muß sie schließlich leben. Sie will Prüfungen machen, um für sich selbst sorgen zu können. Ihre Erbschaft hätte sie bestimmt nicht behalten...“
    Es wurde an die Tür geklopft. Ein Fahrer der Tour Pointue wollte den Verhafteten in Empfang nehmen. Ein ironisches Lächeln auf den Lippen, verbeugte sich Montbrison und ging zur Tür. Plötzlich rutschte er aus und fiel der Länge nach hin. Faroux, der das für irgendeinen Trick hielt, einen Fluchtversuch, warf sich auf den Anwalt und umklammerte ihn. Wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Aus dieser Ringerpose warf er mir eine kleine Kugel zu: den Gegenstand, auf dem Montbrison ausgerutscht war. Neugierig sah ich mir das Gipskügelchen an. Sah aus wie die anderen. Aber wo war das Pillenfläschchen?
    „In meiner Tasche“, antwortete der Inspektor auf meine Frage. „Zeigen Sie mal“, bat ich.
    Faroux zog das Fläschchen aus der Tasche. Der Verschluß war fest zugeschraubt. Mir wurde schwindlig. Ich kapierte, daß fehlender Spürsinn und Blödheit nicht immer angeboren sein müssen...
    Mir blieb keine Zeit, meine Theorie in Ruhe zu überprüfen. Sie war mir tropenheiß durch den Kopf geschossen. Die Wohnungstür stand offen, ich mußte schnell handeln. Auf die Gefahr hin, Ruf und Freiheit zu verlieren, richtete ich meine Pistole auf die Weihnachtsgesellschaft und fragte mit bebender Stimme: „Sagen Sie, Faroux, hatten Sie schon mal das Vergnügen, einen Ihrer Vorgesetzten festzunehmen?“

    * * *

    „Bernier war ein Spieler“, erklärte ich einige Stunden später einer reduzierten, aber aufmerksamen Zuhörerschaft. „Bei unserer ersten Begegnung in Lyon trug er einen Abendanzug. Er war gerade aus einer Spielhölle gekommen. Inspektor Faroux fragte mich später in Paris, ob es sich um den Mann handele, den er früher mal gekannt habe. Die Beschreibung, die er mir von seinem Bekannten gab, paßte genau auf Bernier. Florimond wußte, daß er wegen irgendwelcher dunklen Geschichten versetzt worden war. Den Posten in Lyon behielt er nur dank seiner politischen Verbindungen. Montbrison kennt er aus Spielerkreisen. Der Anwalt bietet ihm Geld an, das er für seine Spielsucht braucht. Dafür muß der Kommissar seine Pflichten vernachlässigen, d. h. die Untersuchung des Falls Colomer schlampig führen und schließlich im Sande verlaufen lassen. Bernier drückt beide Augen zu und will mir unbedingt weismachen, daß Jalome der Täter ist. Er nimmt mich

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