1243 - Sie lockten mit dem Jenseits
die Haustür, nahm aber die andere Richtung und ging nach links zur Treppe hin, wo sich das Drama abgespielt hatte.
Natürlich hatte ich Sarah Goldwyn nicht vergessen. Das Bild würde mir nie aus dem Kopf gehen, aber als ich jetzt einen Blick die Treppe hoch warf, da lag sie nicht mehr auf dem Boden, sondern hatte sich hingesetzt und stützte sich mit dem Rücken an den Stäben des Geländers ab, das zum Sprungbrett in den Tod für sie hatte werden sollen. Die Schlinge hing noch um ihren Hals, nur nicht mehr so fest. Lady Sarah hatte sie aufgezerrt und nach unten gezogen. So sah sie aus wie ein makabres Schmuckstück.
Von Suko sah ich nichts. Mir fiel allerdings auf, dass eine Tür weit offen stand und mich auch die kühle Luft aus dem Schlafzimmer der Lady Sarah erwischte. Ein Fenster war dort aufgerissen worden, und in diesem Zimmer hielt sich mein Freund Suko auf, der sich jetzt umdrehte und zu mir kam.
Ich schob die fremde Frau so weit wie möglich von der Treppe weg. Sie lehnte sich gegen eine Wand zwischen zwei Türen und senkte den Kopf. Sie schien aufgegeben zu haben.
Suko hatte das Schlafzimmer wieder geschlossen. Besonders glücklich sah er nicht aus, als er vor mir stehen blieb und dabei seine Schultern hob.
»Entkommen?«, fragte ich ihn.
»Ja.«
»Wie?«
»Er stürzte sich aus dem Fenster. Er hätte eigentlich unten liegen müssen, aber er stand auf und war weg. Ich habe mich um Sarah gekümmert und bei ihr die Schlinge gelockert. Das hatte Vorrang. Als ich mir den Grauen packen wollte, war es zu spät.« Er grinste mich lauernd an. »Aber da gab es noch einen zweiten Mann, wenn ich mich nicht zu sehr irre, Alter.«
»Klar, den gab es.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Verschwunden.«
Suko schüttelte leicht den Kopf. »Entkommen, meinst du?«
»Nein, er ist verschwunden. Er hat mich angegriffen, aber plötzlich fing er an zu schreien und löste sich auf. Er wurde zu einer regelrechten Lichtgestalt, die verschwand. Mehr kann ich dir leider auch nicht sagen. Ich hätte es anders auch lieber. Aber darüber können wir später reden, denke ich.«
»Wie du meinst.« Suko schaute die fremde Frau an. Seinem Blick entnahm ich, dass er mit ihr auch nichts anfangen konnte, aber ich musste ihn enttäuschen.
»Sorry, Suko, ich weiß nicht, wer sie ist und welche Rolle sie spielt. Aber eine wichtige.«
Er wollte noch etwas sagen, doch ein trockenes Hüsteln lenkte uns ab. Sarah hatte es von sich gegeben, und ich war blitzschnell bei ihr. Suko blieb zurück. Er musste zudem die fremde Frau im Auge behalten.
Vor Sarah ging ich in die Hocke. Ich sprach sie zunächst nicht an, denn sie hatte noch immer unter den Folgen des erlebten Horros zu leiden. Der Strick hatte schon hart um ihrem Hals gelegen, denn ich sah deutlich die Spuren. Wenn sie atmete, verzog sie das Gesicht und bewegte auch ihren Körper.
So einfach waren die Folgen nicht zu verkraften.
Ich nahm ihr mit einer behutsamen Bewegung die Schlinge ab und legte sie zu Boden. »Möchtest du ein Glas Wasser?«
Sie nickte.
Aus Janes Wohnung holte ich das Glas mit dem Wasser.
Sarah nahm das Glas und hielt es mit beiden Händen fest. Ich hatte es nicht zu voll gefüllt. Sie musste es schon weiter kippen, um trinken zu können, und es tat ihr tatsächlich weh, das sah ich, weil sie bei jedem Schluck leicht zusammenzuckte.
Sie reichte mir das Glas mit zittrigen Händen zurück, hustete und versuchte zu sprechen. Sie schaffte es nicht. Aus ihrer Kehle drang nur ein Röcheln.
»Lass dir Zeit«, sagte ich. »Es hat alles keine Eile. Wichtig ist, dass du lebst.«
Da lächelte sie. Aber ich sah auch die Tränen, die aus ihren Augen rannen. Erst jetzt erwischte sie der Schock und es kam ihr wahrscheinlich zu Bewusstsein, was da alles hinter ihr lag und wie knapp sie mit dem Leben davongekommen war.
Ich wollte sie auch nicht im Flur sitzen lassen, nahm sie auf die Arme und trug sie in Janes Zimmer, wo sie in einem Sessel ihren neuen Platz fand.
Als ich mich aufrichten wollte, hielt sie mich fest. Sie hatte mit beiden Händen meinen Nacken umfasst. »Danke, John, danke. Ich habe viel durchgemacht, aber ich habe mich normal verhalten. Ich bin kein Risiko eingegangen und trotzdem…«
Sie konnte nicht mehr reden, weil sie von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Die Sätze selbst hatte sie nur quälend aussprechen können.
Ich stellte ihr das Glas Wasser neben den Sessel und erklärte ihr, dass wir später zu ihr zurückkehren würden und uns erst um
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