1247 - Aufbruch zum Vagenda
einzelne Gestalt. Sie hob sich deutlich von allen anderen ab, schien Konturen zu haben.
„Sie nähert sich uns", flüsterte Twirl.
Es war der gleiche Lord, der uns kurz nach der ersten Landung bereits signalisiert hatte, daß er das Gespräch mit uns suchte. Er war humanoid, trug einen grauen Kapuzenmantel und hatte - im Gegensatz zu den anderen Lords, die uns begegnet waren - ein Gesicht.
Wir konnten das graue Oval mit den großen, schwarzen Augen, der kleinen Nase und den schwarzen, schmalen Lippen deutlich erkennen.
Unwillkürlich blickte ich zu der steil aufsteigenden Wand des Vagendas hinüber. Sie war zwar noch weit von uns entfernt, aber davor erhob sich ein Aktivatorspeicher, der kräftig leuchtete und durch das Grauleben nicht beeinträchtigt zu sein schien. Wirkte dieser Aktivatorspeicher überhaupt nicht auf den Grauen Lord?
„Was will er von uns?" fragte Domo Sokrat. Seine Stimme vibrierte jetzt vor Zorn. Ich hatte das Gefühl, daß er sich an mir vorbeidrängen und auf den Lord stürzen wollte.
Abwehrend hob ich eine Hand.
„Warte", wies ich ihn zurück. „Ich will hören, was er uns zu sagen hat."
Der Graue Lord war nun nur noch etwa dreißig Meter von uns entfernt.
Er stieg auf einen Hügel, und danach trennten uns kaum noch zwanzig Meter voneinander. Wir verließen die Gondel und sanken auf den Boden hinab. Wir näherten uns dem Grauen bis auf etwa zehn Meter.
Er hob beide Arme.
„Hört mich an", bat er mit schnarrender Stimme. „Versucht nicht wieder zu fliehen."
„Das hätten wir längst tun können", erwiderte ich. „Und niemand wird uns daran hindern."
Er antwortete nicht. Seine Augen schienen noch dunkler zu werden.
„Wer bist du?" fragte ich.
„Lordrichter Krart", erklärte er.
„Einer von den sechs Lordrichtern der Grauen Kammer."
Die Graue Kammer ist der Führungszirkel der Lords, erinnerte mich mein Extrahirn.
Krart widerstand nicht nur der Vitalenergie, er unterschied sich auch sonst erheblich von Lords wie Mhuthan oder dem Ältesten. Das merkten wir zu unserem Erstaunen, als er weitersprach. Er war kultiviert, liebenswürdig und ein kühler Denker, und er schien in uns nicht unbedingt Feinde zu sehen.
„Was willst du von uns?" fragte ich.
„Warum befiehlst du deinen Heerscharen nicht, uns Platz zu machen und uns durchzulassen?"
Ich meinte, so etwas wie ein Lächeln auf den schwarzen Lippen erkennen zu können, aber sicherlich irrte ich mich.
„Du scheinst zu glauben, daß ich dein Feind bin", sagte er, „aber du irrst dich. Jedenfalls seid ihr für mich keine Feinde."
„Sondern?" fragte Jen Salik.
„Ihr seid lediglich irregeleitet."
„Ach, tatsächlich?" zweifelte Lethos.
Lordrichter Krart wandte sich nur an uns drei Ritter der Tiefe. Das wurde mit jedem Blick, mit jeder Geste deutlich. Die anderen schienen für ihn nicht vorhanden zu sein.
„Irregeleitet. Interessant", entgegnete ich. „Es wird dich nicht überraschen, daß wir anderer Ansicht sind, und wir haben auch nicht die Absicht, uns umstimmen zu lassen."
Wieder hob der Lordrichter abwehrend die Arme.
„Nicht so hitzig", bat er. „Es gilt, viele Mißverständnisse auszuräumen. Das ist nicht mit einem Satz getan. Ich möchte mit euch Rittern der Tiefe verhandeln."
„Was gibt es da zu verhandeln?" fragte Jen Salik. „Ich glaube eher, daß du nur die Absicht hast, uns aufzuhalten. Du willst verhindern, daß wir das Vagenda erreichen, und wahrscheinlich baust du jetzt, während wir hier miteinander reden, eine Falle für uns auf."
„Nein, so ist das nicht. Ich möchte euch nur bitten, euren sinnlosen Feldzug aufzugeben."
„Sinnlos?" sagte Lethos. „Habe ich richtig gehört?"
„Ja, ich habe sinnlos gesagt, weil es wirklich ein sinnloser Feldzug ist."
„Warum sollte er das sein?" forschte ich.
Lächelte der Lordrichter im Gefühl seiner Überlegenheit?
„Das Tiefenland ist so gut wie grau.
Der Prozeß ist nicht mehr aufzuhalten."
„Das haben wir schon öfter gehört", mischte Twirl sich erregt ein.
„Jetzt ist ein Stadium erreicht, an dem eine Umkehr der Ereignisse nicht mehr denkbar ist", fuhr Krart unbeirrt fort. „Wir sollten versuchen, unsere Emotionen hintanzustellen und nüchtern zu denken. Nur das führt uns weiter."
„Vielleicht haben wir gar nicht die Absicht, das zu tun", rief der Abaker.
Er hatte offenbar die Absicht, sich noch mehr an dem Gespräch zu beteiligen, doch Lethos gab ihm mit einer kleinen Geste zu verstehen, daß er schweigen sollte. Der
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