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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Ich hatte Paul für einen Schwätzer gehalten, der unentschieden war, wie er seine Tage herumbringen sollte, und mir auflauerte, sich aus nie ganz klar gewordenen Gründen an mich hängte. Er war schon länger Mitarbeiter der Zeitung gewesen, aber erst seit wenigen Monaten in der Stadt, und später erinnerte ich mich genau daran, wie er eines Nachmittags, als ich selbst gerade dort zu tun hatte, in der Redaktion aufgetaucht war, um sich vorzustellen, und niemand recht wußte, was mit ihm anfangen, weshalb er schnell wieder verschwand. Drei Tage danach hatte er mich in meinem Frühstücks-Café in Ottensen angesprochen, und ein oder zwei Wochen war ich zurückgeschreckt, wenn ich ihn durch das Fenster entdeckte, offensichtlich schon Stammgast, hatte mich vorbeigedrückt und irgendwo anders meinen Kaffee getrunken oder war nach einer halben oder dreiviertel Stunde wiedergekommen, in der Hoffnung, daß er das Warten aufgegeben hatte, eine müßige Hoffnung, wie ich bald einsehen mußte. Die Tür im Auge, saß er immer am selben Platz, im Aschenbecher eine Zigarette, die er nach dem Anzünden verglimmen ließ, ohne noch ein einziges Mal daran zu ziehen, und er begrüßte mich wie einen guten Bekannten und deutete auf den Stuhl neben sich, als ich mein Versteckspiel schließlich zu kindisch fand und es aufgab.
    Er schrieb für den Reiseteil, Berichte, die er auch an andere Blätter verkaufte, und weil ich mir nichts davon jemals ansah, hatte ich vorher kaum seinen Namen gekannt. Der Vergleich war vielleicht schief, aber es bestand eine Hierarchie unter den Ressorts, wie es sie ganz ähnlich in Gefängnissen geben mußte, je nach dem Verbrechen, das man begangen hatte, und demnach stand er im Rang eines Kinderschänders oder knapp darüber. Nicht daß meine Position eine viel bessere gewesen wäre, als sogenannter fester Freier, der einmal da, einmal dort einsprang, aber wenn man etwas hatte, worauf man hinunterschauen konnte, wie er später selbst irgendwann sagte, schaute man darauf hinunter.
    Sein österreichischer Akzent war mir nicht entgangen, und obwohl ich das sonst eher verschweige, erzählte ich ihm, daß meine Eltern aus Wien stammten. Dann fragte ich ihn, was ihn nach Hamburg geführt hatte, die Arbeit wohl kaum, war doch keine Stelle für ihn in Aussicht, und ich erinnere mich, wie er zusammenzuckte, als hätte ich wissen wollen, warum er überhaupt auf der Welt war. Alles an ihm schien mir auf eine bestürzende Weise vorläufig zu sein, er selbst wie auf Abruf bereit, neu anzufangen, von vorn zu beginnen, erlösungsbedürftig geradezu, und die Antwort klang dann so dramatisch, daß sie sich fast nicht niederschreiben läßt, ohne Zweifel an ihrer Richtigkeit hervorzurufen.
    »Mein Todesengel.«
    Zwar brach er im selben Augenblick in ein schnell wieder verebbendes Lachen aus, aber ich weiß bis heute nicht, ob nicht doch eine Spur Ernst dabei war, so, wie er das sagte, als gehörte es zu seinem alltäglichen Vokabular.
    »Bemüh dich nicht, es schönzureden«, fuhr er fort, ohne daß ich überhaupt die Gelegenheit gehabt hätte, etwas zu erwidern. »Du hast mich schon richtig verstanden.«
    Ich mochte es, wenn einer es schaffte, sich mit einer einzigen Wendung zum Narren zu machen, aber ob ich es wollte oder nicht, auf seine Art hatte er uns nach ein paar weiteren Sätzen in die Rolle von zwei Schwerenötern gedrängt, in ein Gespräch über die ersten und letzten Dinge, als wäre nicht klar, daß dabei nichts herauskommen konnte und daß es ohnehin viel zu viele Leute gab, die sich mit den gleichen Worten in die gleichen Binsenweisheiten verirrten.
    Er hätte mir nichts anvertrauen müssen, allein die Verlorenheit, die er ausstrahlte, brachte mich darauf, daß seine Frau ihn verlassen hatte und daß er jetzt angeschlagen dastand und versuchte, sich zurechtzufinden, in der Mitte des Lebens, wie es hieß, als hätte er die Wahl, vor- oder zurückzugehen, und die Richtung wäre nicht ein für alle Mal festgelegt. Etwas an ihm erinnerte mich an eines der Kinder mit viel zu dicken Brillen, die ich immer instinktiv bemitleidet hatte, gerade imstande, sich selbst die Schuhe zu schnüren, und schon überfordert, sobald sie mehr tun sollten. Für mich war er einer von denen, die in einem bestimmten Alter anfingen, über Abzweigungen nachzudenken, hilflose Ausbruchsversuche inszenierten und die Welt nicht mehr verstanden, wenn sie sich plötzlich vor verschlossenen Türen wiederfanden. Es war die alte Geschichte, die

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