1316 - Die Kalydonische Jagd
darüber reden, was ich in den zweitausend Jahren der Verbannung erlebt habe. Aber ich bin bereit, wiederum in ein Orphisches Labyrinth hinabzusteigen. Diesmal jedoch als Jäger."
„Danke!" sagte sie.
Der über zwei Meter große, schlanke Mlironer sah sie prüfend an. Eine große Frage stand in seinen grünen Augen, und um seinen linken Mundwinkel zuckte es. Er schien nicht sicher, ob sie ihren Dank ehrlich meinte; manchmal traf ihn ihr versteckter Spott hart.
Er fühlte sich ihr dann stets lichtjahreweit unterlegen, und jedes Mal drängte sich ihm die Frage auf, ob sie nicht doch eine Kosmokratin war. Srimavo jedenfalls behauptete, daß sie selbst nicht wußte, wo sie einzuordnen war.
Sie schien überhaupt nicht viel über sich selbst zu wissen, aber das tat ihrer Persönlichkeit keinen Abbruch, sie war jeder Situation gewachsen.
Als er sie vor sechzehn Jahren kennen gelernt hatte, war sie weder Kind noch Frau gewesen. Ihre innere Zerrissenheit hatte sie durch betont sicheres Auftreten zu kompensieren versucht. Er hatte jedoch rasch erkannt, wie leicht formbar sie war, und er hatte sie für seine Zwecke ausgenutzt, oder, um es anders zu formulieren, sie hatte sich für ihn geopfert.
So und nicht anders mußte es gewesen sein, denn als Empathin mußte sie seine egoistischen Absichten durchschaut haben. Sie war ihm hörig gewesen.
Nun waren die Rollen vertauscht. Nicht daß er ihr hörig war, aber sie formte ihn, ihr Wille geschah. Vielleicht hatte sie ihn auch durch ihre empathische Fähigkeit dazu gebracht, daß er sich auf dieses Abenteuer einließ. Er glaubte, seine Beteiligung an einer Kalydonischen Jagd aus eigenem Willen zugesagt zu haben, aber das war noch lange kein Beweis dafür, daß sie ihn nicht dahingehend beeinflußt hatte.
Sri ließ sich nichts anmerken. Sie war eine Sphinx.
Nach seiner siebenjährigen Dienstzeit auf des Ewigen Kriegers Ijarkor Flaggschiff SOMBATH waren sie einander in der Kalmenzone von Siom Som wieder begegnet und eine Lebensgemeinschaft eingegangen. Sri war damals keine Halbwüchsige mehr, sondern eine reife Frau. Sie gestand ihm, den Raumschiffsfriedhof Cursaafhar nur seinetwegen aufgesucht zu haben. Sie wollte mit ihm zusammenleben. Deshalb hatte sie die Milchstraße wieder verlassen, in die sie Sotho Tyg Ian vor mehr als 15 Jahren gebracht hatte.
Seine Entschuldigung dafür, daß er sie bei ihrer ersten Begegnung hintergangen und ausgenutzt hatte, wies sie zurück.
„Ich weiß, wie es in dir ausgesehen hat", begründete sie das. „Auf einen, der zweitausend Jahre in einem Orphischen Labyrinth ums Überleben gekämpft hat, dürfen keine herkömmlichen ethischen und moralischen Maßstäbe angelegt werden. Ich fühle, daß du wieder in Ordnung bist."
Und ihr „Gefühl" trog Srimavo nie.
„Du mußt nur darauf achten, Veth, daß du die Schuldgefühle gegenüber mir und der Welt abbaust. Nur so kannst du die Anforderungen erfüllen, die dein Volk an einen Desotho stellt."
Von einem Desotho erwartete Sri auch, daß er für ihre Freunde Roi Danton und Ronald Tekener ein Wagnis einging und sich an einer Kalydonischen Jagd durch die Orphischen Labyrinthe der Galaxis Trovenoor beteiligte.
War es also doch ihre Erwartungshaltung, die ihn zu diesem Schritt bewog? Nicht nur, denn seine Beteiligung an der Rettungsaktion für die beiden ehemaligen Vironauten war kein bloßer Freundschaftsdienst. Die Rettung dieser beiden war für die Gänger des Netzes von außerordentlicher Bedeutung. Denn sie waren potentielle Gänger des Netzes und konnten in dem Langzeitplan, der die Demontage des Kriegerkults zum Ziel hatte, einen wichtigen Part übernehmen.
„Dein Entschluß steht fest?" wollte Sri wissen.
„Ich beteilige mich an der Rettungsaktion!"
„Gut", sagte sie zufrieden, „dann erledige du alle erforderlichen Formalitäten für die Anmeldung. Ich werde die Absprache mit den Gängern des Netzes treffen." Sie machte eine kurze Pause, und als hätte sie sich soeben erst entschlossen, fügte sie hinzu: „Und vergiß nicht, mich als deinen Paladin zu benennen."
Sie manipuliert, lenkt mich, dachte Veth, und die durch diesen Gedanken geweckten Empfindungen brachten die schwarzen Pigmente in seinem Gesicht in Bewegung. Sri entging das nicht, und sie warf ihm einen prüfenden Blick zu.
„Ich verehre dich", sagte Veth.
„Und ich liebe dich", sagte sie.
„Das wird sich auch in den Orphischen Labyrinthen nicht ändern."
Abwarten, dachte er, du weißt noch nicht, wie sehr
Weitere Kostenlose Bücher