1318 - Terror am Totenbett
gut. Künstliche Augen sind immer etwas Besonderes.«
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Wie denn?«
Der alte Lord öffnete den Mund. Wieder musste er lachen. »Es geht mir um andere Dinge, die ich dir gleich zeigen werde. Und dann wirst du überrascht sein.«
Noch mehr Überraschungen!, dachte Amos. Das halte ich nicht aus. Das geht mir gegen den Strich.
Lord Peter schien es Spaß zu machen, dem wesentlich jüngeren Großneffen zu schocken. Mit einer sehr bedachten und auch langsamen Bewegung hob er seinen linken Arm an und führte die Hand zu seinem Auge hin. Er hatte sein eigentliches Ziel noch nicht erreicht, als Amos bereits wusste, was die Bewegung zu bedeuten hatte.
Er wollte wegschauen. Das brachte er nicht fertig. Er fühlte sich wie unter einem Zwang stehend. Sehr genau beobachtete er die Finger, die sich zu zweit in die Augenhöhle schoben, sich dort tiefer hineinbohrten und sich auch krümmten.
»Haha, gleich, gleich habe ich es. Warte, es dauert nur noch eine Sekunde.«
Das traf nicht ganz zu. Es dauerte zwar etwas länger, aber der Effekt war der Gleiche.
Lord Peter Wexley hielt sein Auge in der Hand. Noch zwischen zwei Fingern geklemmt, was allerdings bald nicht mehr der Fall war, denn es rutschte hervor und glitt auf seinen Handteller zu, wo es liegen blieb.
»Da ist es!«
Amos Anderson wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Er war zwar nicht unbedingt geschockt, aber es bestand das Problem, wohin er seinen Blick richten sollte.
Da war zum einen das künstliche Auge auf der Handfläche, aber es gab auch noch die Augenhöhle, dieses Loch, in dem das Auge mal gesessen und es ausgefüllt hatte.
Wieso eigentlich Loch?, fragte er sich und schaute hin.
Der Schrecken setzte sich in seiner Kehle fest. Er hätte jetzt nicht sprechen können, denn das Loch war der Eingang zu einem Kanal, der so tief aussah, obwohl er nur bis zum Hinterkopf reichte. Weiter ging es ja nicht.
»Hä…«
»Was sagst du?«
Amos schüttelte den Kopf.
»Gib eine Antwort.«
Der jüngere Mann schluckte. Ihm hatte es wirklich die Sprache verschlagen. Er kam nicht mehr zurecht. In einer derartigen Lage hatte er noch nie gesteckt. In seinem Kopf dröhnte es, und er begriff nicht, was das Herausnehmen des Auges sollte.
»Los, rede!«
»Ja, schon ja. Es sieht nur so komisch aus. Das ist ja… das ist …«
»Spuck’s schon aus. Los!«
»Ein Loch! Ein Loch im Kopf. Und dazu ein Kanal, ein kleiner Tunnel. Das meine ich.«
Der Alte hatte seinen Spaß. »Genau das habe ich hören wollen, Söhnchen, genau das.« Es folgte ein hohl klingendes Lachen, das sich anhörte, als wäre es innerhalb des Kopfes geboren worden, dabei drang es tief aus dem Rachen. »Stimmt. Es stimmt alles, was du gesagt hast. Ich habe dir doch vorhin von der Hölle erzählt«, sprach er schnell weiter. »Und jetzt kannst du einen Blick hineinwerfen. Die Hölle ist in mir. Sie steckt in meinem Kopf, hörst du? In meinem Kopf. Da ist die Hölle, und genau da ist auch der Tod…«
***
Lord Peter Wexley verstummte. Nach seinem letzten Wort drang noch ein Krächzen aus seinem Mund, begleitet von einem leisen Husten. Dann lag er still und schaute aus seinem einen Auge zu seinem Großneffen hoch, der nicht wusste, wie er sich verhalten sollte.
Er konnte nicht sprechen und wollte das auch nicht kommentieren. Etwas anderes hatte sich bei ihm eingestellt. Der alte Lord war ihm schon immer suspekt gewesen, doch jetzt kam er ihm unheimlich vor. Das war kein normaler Mensch mehr, das war auch kein Todkranker, aber auch kein Gesunder, das war jemand, der zwischen zwei Polen hin und her tanzte.
War er vielleicht verrückt geworden? Im Alter dem Wahnsinn verfallen? Amos vergaß das Geld und das Erbe. Er wollte so schnell wie möglich weg aus diesem verdammten Haus. Auch das brachte er nicht fertig. Er fühlte sich wie festgenagelt, und die Furcht entwickelte sich in seinem Innern zu einem festen Panzer, der ihn beim Atmen störte und ihm auch einen Teil der Luft nahm.
»Was ist?«, fragte der Lord.
»Nichts weiter, nichts…«
»Du lügst.«
»Kann sein, aber…«
»Du hast Angst!«
»Es ist komisch…«
Der Lord richtete sich auf. Amos musste ihn einfach anschauen, und er schaffte es nicht, den Blick von dieser düsteren Öffnung im Gesicht wegzunehmen. Er hatte das Gefühl, als wäre der Tunnel dahinter unendlich tief. Wenn er diesen Gedanken weiterdachte, dann war es gar nicht so verkehrt, was ihm sein Großonkel gesagt hatte.
In seinem Kopf war
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