1324 - Der Große Bruder
an einer totalen Erschöpfung des Ki. Er bedarf der Ruhe. Was er soeben erlebt, ist die perfekte Meditation. Er sieht nichts, er hört nichts, er empfindet nichts. Sein Verstand ist leer. Durch Meditation schöpft das Ki neue Kräfte. Wartet nur, und Sato Ambush wird wieder zu sich kommen."
„Du weißt nicht etwa", forschte Javier, „was auf Styxvier geschehen ist? Ich höre merkwürdige Geschichten über eine Welt, die plötzlich aus dem Nichts auftauchte und später wieder verschwand. Ich kann mir darauf keinen Reim machen."
„Sato Ambush bewirkte eine Verschiebung der Wirklichkeit", antwortete Peregrin. „Er benutzte die Energie des Striktors, um seine Umgebung auf eine andere Wirklichkeitsebene zu versetzen. Sein Vorgehen war erfolgreich. Er versetzte die Jäger in Angst und Schrecken und befreite die Gefangenen. Aber die Anstrengung war zuviel für ihn. Als seine Kräfte verbraucht waren, brach er zusammen."
„Was ist das?" brummte Waylon Javier. „Eine neue Waffe? Verschiebung der Wirklichkeit?"
„Wenn ich nicht wüßte, daß die Waffen und der Krieg dir nichts bedeuten, Waylon Javier", lächelte der Alte, „dann gäbe ich dir jetzt eine geharnischte Antwort. So aber will ich dir sagen: Soweit euer Wissen um diese Dinge noch beschränkt ist, vergeßt die Idee, daß aus Sato Ambushs Forschungen ein praktischer, womöglich gar militärischer Nutzen zu schlagen sei. Zur Verschiebung der Wirklichkeit bedarf es nicht nur psionischer Energie, sondern auch des organischen Geistes. Sato Ambush ist der beste Geist, den ihr habt. Ihn hätte sein Experiment fast das Leben gekostet. Du kannst dir selbst ausmalen, wie es einem anderen gegangen wäre, der nicht soviel Kenntnis besitzt wie Ambush."
Waylon Javier sah den Weißhaarigen nachdenklich an.
„Du nennst ihn deinen Lehrer und Meister", sagte er. „Aber manchmal meine ich, du wüßtest viel mehr als er."
Peregrin wurde ernst.
„Das scheint so", antwortete er. „Ich drücke mich besser aus als Sato Ambush. Ich spreche mehr über meine Arbeit als er. Daraus mag der Eindruck entstehen. Aber selbst wenn es so wäre, Waylon Javier: Ich stünde euch für Experimente mit der Wirklichkeit nicht zur Verfügung. Zu heiß ist das Feuer, in das ihr da die Finger stecken wollt."
Es war ein überaus nachdenklicher Waylon Javier, der nach diesem Gespräch sein Privatquartier aufsuchte.
*
Andernorts im Leib des großen Schiffes, der so riesig war, daß es Besatzungsmitglieder gab, die einander schon seit Monaten nicht mehr gesehen hatten, ging es weniger fundamental zu.
„Ich verstehe noch immer nicht", beklagte sich Sid Avarit, „was unsere Aufgabe bei eurem Projekt sein soll. Wozu braucht ihr Paratensoren? In Tirzos Fall kann ich noch einen Zweck sehen. Er horcht und sieht weiter in die Stygstränge hinein als euer leistungsfähigster Psi-Taster. Aber was wollt ihr mit einem Telekineten?"
Das Gespräch fand in gemütlicher Runde statt. Tirzo verhielt sich wie meistens schweigsam, hörte jedoch aufmerksam zu. Enza Mansoor und Notkus Kantor wirkten entspannt. Sie hatten die stürmischen Ereignisse auf Styx-IV, so schien es, ohne Nachwirkungen überstanden. Daß dem nicht ganz so war, ahnte nur Sid Avarit.
Wenigstens ein Teil des Schocks saß ihnen noch in den Knochen. Das erkannte er daran, daß sie sich seit dem Aufbruch von S'agapo, der Welt, die sie nie wiedersehen würden, nicht miteinander gestritten hatten.
„Die Vorversuche mit dem Paraflektor sind abgeschlossen", sagte Notkus. „Wir brechen morgen mit einem Experimentalschiff auf, um einen Großversuch zu veranstalten. Der Paraflektor funktioniert so, wie wir ihn einsetzen wollen, nur mit Hilfe eines syntronischen Schalters, den wir erst noch entwerfen müssen, Am Entwurf arbeitet eine Gruppe unserer fähigsten Spezialisten. Wir rechnen damit, daß wir binnen einer Woche einen testbaren Prototyp zur Verfügung haben. Die Tests nehmen eine weitere Woche in Anspruch. Es könnte sein, daß die Flotte, die aus ESTARTU kommt, uns soviel Zeit nicht mehr läßt."
Er schwieg und schien sicher zu sein, daß er damit alles erklärt hätte.
„Dein Wort in Baálols Ohr", brummte Sid, als er erkannte, daß Notkus mehr nicht zu sagen gedachte. „Ich verstehe jedes Wort außer denen, auf die es ankommt. Was ist ein Paraflektor, und wozu braucht ihr mich?"
Notkus sah ihn verwundert an. Bevor er dazu kam, ein zweites Mal zu antworten, sagte Enza: „Er hat es nicht so mit dem Erklären. In Gedanken
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