134 - Geister im Grand Hotel
hölzernen
Balustrade fest und wollte nicht glauben, was sie sah.
Ein Reiter jagte auf sie zu!
Und was für einer!
Es war ein Knochenmann, der auf einem
Skelettpferd saß ...
Für zwei, drei Sekunden schien die Grenze
zwischen Wirklichkeit und Traum aufgehoben zu sein, und die Frau fragte sich
unwillkürlich, ob sie nicht doch schon im Bett lag und träumte...
Ein solch verrücktes Bild konnte schließlich
nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Dies war zwar ein
Schloß, aber ein Neubau, und kein verwunschenes, in dem unselige, ruhelose
Geister spukten.
Marion Graim riß Mund und Augen auf.
Da war der durch die Luft kommende
Knochenreiter auch schon heran.
Lautlos zuckte die Lanze nach vorn.
Der Strahl bohrte sich mitten in ihr Herz und
löschte augenblicklich ihr Leben aus.
*
Sie schrie auf, während sie in die Knie
brach. Eine Hand lag noch auf der Balustrade, um den Sturz zu verhindern.
Marion Graim rutschte an dem Holz entlang und
schlug schwer auf den Boden.
Der Todesschrei verebbte durch die hohle
Halle, in der sich außer ihr niemand aufhielt.
Nur zehn Schritte vom Ort des Geschehens
entfernt, befand sich der Aufgang zum Turm.
Die Tür stand offen, und der Schrei verlor
sich auf der schmalen Treppe.
Dort saß in einem Raum ein Mann.
Der Mittvierziger war der Typ des
erfolgreichen Geschäftsmannes mit dunklem Haar und leicht angegrauten Schläfen.
Er hatte auf dem Tisch vor sich einen
Aktenstoß liegen und einen ausgebreiteten Plan, auf dem die einzelnen Zimmer
eingezeichnet waren, und war damit befaßt, eine Namensliste mit dem Plan zu
vergleichen, als er den Schrei vernahm.
Irritiert hob Isaac Sterling den Kopf, seine
Augen verengten sich.
Er meinte, sich getäuscht zu haben und wollte
wieder an seine Arbeit gehen. Da erfolgte ein zweites, leiseres, aber nicht
minder mysteriöses Geräusch.
Es hörte sich an wie Stöhnen.
Der Manager verließ das Zimmer und lauschte
in den Treppengang.
»Miß Graim !« rief
er. Als dumpfes Echo wurde seine Stimme zurückgeworfen, aber eine Antwort von
der Frau, die eigentlich schon in der Nähe hätte sein müssen, kam nicht.
Einer plötzlichen Eingebung folgend lief
Isaac Sterling eine Etage tiefer und passierte den Verbindungsgang nach außen in die große, weite Halle, die von der Gewölbedecke
überspannt wurde.
Er bog um die Ecke - und prallte zurück.
Nur zehn Schritte von ihm entfernt sah er die zusammengekauerte Gestalt am Boden.
»Miß Graim !«
Er lief auf sie zu, ging neben ihr in die
Hocke und tastete nach ihrem Puls, als sie auf sein Ansprechen nicht reagierte.
Kein Puls war zu spüren.
Sterling legte den Kopf in die Höhe ihres
Herzens.
Es schlug nicht mehr!
Der Mann erbleichte.
Sofort mußte ein Arzt her
...
Der Chief-Manager verlor keine Zeit, stürzte
in das gegenüberliegende Zimmer, öffnete es in fliegender Hast mit dem
Universalschlüssel und benutzte das darin befindliche Telefon.
Zum Glück war ihm die Nummer des Arztes, der im Notfall auch für die Hotelgäste da sein sollte,
geläufig.
Nach dreimaligem Klingeln wurde auf der
anderen Seite abgehoben.
Dr. Braun meldete sich.
Sterling bat ihn, umgehend ins »Grand Hotel
zu kommen. »Eine Frau ist zusammengebrochen. Herz- und Pulsschlag haben
ausgesetzt .«
»Ich mache mich sofort auf den Weg, Mister
Sterling .«
Es knackte in der Leitung.
Der Manager lief zu der reglos am Boden
Liegenden zurück, knöpfte ihr Kleid auf, entblößte ihren Oberkörper und begann
mit Herzmassage.
Fünf Minuten hielt er ununterbrochen durch,
ohne daß eine Reaktion erfolgte.
Dr. Braun wohnte am Wildpark. Von dort aus
mußte er über die Bahnlinie und würde spätestens in zehn Minuten auf dem
»Zauberberg« sein.
Sterling rief über sein Walkie-Talkie seinen
Stellvertreter, der sich in der ersten Etage aufhielt und teilte ihm mit, den
Haupteingang des Hotels zu öffnen.
»Ich möchte nicht, daß Dr. Braun auch nur
eine Minute verliert .«
Der Mediziner war ein Mann, der aussah, wie
man sich einen Arzt vorstellte. Rosige, gesunde Gesichtsfarbe, weißgraues Haar,
elegantes, sicheres Auftreten und ein sympathisches Äußere.
Er untersuchte Marion Graim sofort.
Eine Minute später legte er sein Stethoskop
ab.
»Da nützt auch keine Herzmassage mehr, Mister
Sterling. Die Frau ist tot! Herzinfarkt!«
*
»Ich habe etwas für Sie, meine Herren !« Der Mann, der das sagte, sah aus wie ein gutmütiger
Vater, hatte graues, leicht gewelltes Haar und trug eine dunkle
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