1518 - Sukos Albtraum
er als Kind in ein Kloster gegeben worden war, doch über seine Eltern oder wer auch immer ihn abgegeben hatte, darüber hatte er nie ein Wort verloren. Ich hatte ihn auch nie darauf angesprochen. Auch gute Freude mussten ein Privatleben haben.
»Tja, jetzt weißt du alles, John.«
»Stimmt.«
»Ich stehe hier vor einem Rätsel, John. Es gibt keinen Hinweis darauf, wohin Suko verschwunden sein könnte. Und wenn ich daran denke, wie er verschwunden ist, dann könnte ich fast in Panik verfallen. Ich hätte ihn doch sehen müssen, wie er zur Haustür ging.«
»Aber du hast ihn nicht gesehen.«
»Richtig.« Shao hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wir haben nicht den geringsten Hinweis, wohin er gegangen sein könnte, und das will mir nicht in den Kopf. Wir wissen nur, dass er Ai Wei jagen muss, um eine alte Rechnung zu begleichen. So und nicht anders sieht es aus.«
»Überlegen wir erst mal, wie er aus der Wohnung kam.«
»Keine Ahnung. Er kann sich ja nicht wegbeamen wie Glenda. Aber er hat es geschafft, und ich fühlte mich auch nicht hypnotisiert, das muss ich dir noch sagen. Er hat sich offenbar in Luft aufgelöst und ist…«
»Da gibt es eine Möglichkeit«, sagte ich.
»Ach ja? Welche denn?«
»Suko ist an dir vorbei gegangen, ohne dass du ihn gesehen hast. Verstehst du?«
»Ja und trotzdem nein.«
»Du hast ihn nicht sehen können, Shao, weil er nicht zu sehen war bei seinem Verschwinden.«
»Wieso nicht?«
»Er war unsichtbar.«
Shao erwiderte nichts auf diese Feststellung. So sehr sie sich um eine Aufklärung bemüht hatte, daran hatte sie überhaupt nicht gedacht, dass Suko vielleicht unsichtbar gewesen war, als er die Wohnung verlassen hatte.
Nach einer Weile bewegte sie die Lippen und formulierte das Wort »unsichtbar« flüsternd.
»Ja«, sagte ich.
»Bitte, wie kommst du darauf?«
»Denk mal an die Vergangenheit, als wir noch gegen Shimada kämpften. Da brauchten wir Waffen, da waren die Ninja unsere Feinde und…«
Sie schoss beinahe in die Höhe, denn sie hatte ein bestimmtes Wort gehört.
»Ninja!«
Ich nickte.
»Die Krone der Ninja!«
»Genau!«
Shao sackte in sich zusammen. In ihrem schmalen Gesicht wurden die Augen übergroß. Ich wusste, dass Erinnerungen auf sie einströmten.
Die Krone der Ninja war etwas Besonderes. Im Dunklen Reich, in dem die Sonnengöttin Amaterasu gefangen gehalten wurde, sollte sie dem besten aller Ninja-Kämpfer zustehen. Sie bestand aus Eisen und lief oben halbkreisförmig zusammen. Beinahe sah sie wie eine Bischofshaube aus. Wer sie auf seinen Kopf setzte, wurde unsichtbar.
Nach zahlreichen Auseinandersetzungen um die Krone war es Suko und mir schließlich gelungen, sie in unseren Besitz zu bringen. Zusammen mit den heilenden Handschuhen eines alten Shaolin-Mönchs hatten wir sie in den Tresoren des Yards eingeschlossen. Wenn Suko sie tatsächlich jetzt besaß, musste er sie hervorgeholt haben, ohne Shao oder mir auch nur ein Wort davon zu sagen.
»Ja, John, das muss es sein. Ich kann mir keine andere Erklärung vorstellen. Das ist es. Die Krone der Ninja ist von Suko aus dem Tresor geholt worden. Das ist die Lösung.«
»Noch haben wir keinen Beweis.«
»Aber welche Alternative gibt es?«
»Mir fällt keine andere ein.«
»Mir auch nicht.«
»Ich werde mich erkundigen, ob Suko sich die Krone aus dem Tresor geholt hat. Die Möglichkeit dazu hat er ja. Wenn das tatsächlich geschehen ist, sehen wir weiter.«
»Gut.« Shao hob die Schultern. »Aber eine Spur, die wir aufnehmen könnten, haben wir damit nicht.«
»Noch nicht.«
»Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie wir Suko finden sollen. Und erst recht nicht diesen Ai Wei.«
»Das ist auch nicht unser Problem.«
Vor ihrer nächsten Bemerkung bekam Shao große Augen. »Da fällt mir etwas ein. Es wäre interessant zu wissen, ob Suko seinen BMW mitgenommen hat.«
»Richtig. Ich fahre mal nach unten. Ich kann mir gut vorstellen, dass er mobil sein will.«
»Eben.«
Shao wartete auf mich. Als ich kurze Zeit später wieder bei ihr war, sah sie meinem Gesicht an, dass sich unser Verdacht bewahrheitet hatte.
»Der Wagen ist also weg?«
»Ja.«
»Dann meint er es verdammt ernst.«
Sie stand auf und lief im Zimmer hin und her.
»Was sollen wir tun? Wo können wir mit unseren Nachforschungen anfangen? Er hat alles für sich behalten. Nicht die geringste Information habe ich von ihm erhalten. In welche Richtung ich meine Gedanken auch lenke, ich lande im
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