1529 - Tochter, Mutter, Teufelssaat
»Uns auch nicht.« Die Nonne lächelte, und ihr Gesicht legte sich in zahlreiche Falten. »Ich will ja nicht wiederholen, was manche bösen Menschen sich so unter der Hand erzählen, aber ich habe schon gehört, dass dein Vater der Teufel sein soll, dem sich deine Mutter Camilla angeboten hat, als in einer Nacht die großen Unwetter tobten und Wassermassen viele Häuser verschluckt haben. Das war eine Nacht, die wir älteren Menschen nicht vergessen haben. In ihr wurde viel gebetet, aber auch geflucht, und da soll es dann passiert sein. ER ist zu ihr gekommen. ER hat sie geschwängert, und du bist ein Teil von ihm.«
Elisa erschrak über derartige Worte, und sie fragte mit leiser Stimme: »Glaubst du das denn?«
»Nein, ich nicht. Und die anderen Schwestern hier auch nicht. Aber du weißt, was die Leute in den Dörfern so reden. Und wenn diese Reden oft genug wiederholt werden, dann glaubt man ihnen. Ob sie nun wahr sind oder nicht.«
»Trotzdem ist sie meine Mutter!«, erklärte Elisa trotzig. »Ich kann sie doch nicht einfach vergessen.«
»Das sollst du auch nicht, auch wenn sie dich weg gegeben hat, als du noch sehr klein gewesen bist. Wir haben dich aufgenommen. Du bist hier bei uns aufgewachsen. Du hast hier deine Schulausbildung bekommen, und ich muss zugeben, dass du sehr gut gelernt hast. Das hat uns alle froh gemacht.«
»Das weiß ich alles, Schwester Agnes. Ich bin euch auch dankbar. Aber ich habe auf dieser Schule auch den Satz gehört, dass Blut immer dicker ist als Wasser.«
»Das stimmt.«
»Also kann man mir nicht verdenken, dass ich zu meiner Mutter will, die ja nicht weit von hier wohnt, wie ich erfahren habe. Ich möchte sie besuchen. Alt genug bin ich.«
»Ja, siebzehn Jahre.« Schwester Agnes lächelte. »Man glaubt gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht.«
»Genau, ich hatte vor einer Woche Geburtstag.«
»Aber du bist noch nicht erwachsen, Kind. Da musst du noch ein Jahr warten.«
»Macht das denn etwas aus?«
»Ohhh - in deinem Alter schon, meine liebe Elisa. Ja, es macht sehr viel aus. In meinem Alter nicht. Du befindest dich in der Entwicklung, auch wenn diese bereits weit fortgeschritten ist. Aber das Gesetz hat eben altersmäßig seine Grenzen gesetzt. Das solltest du nicht vergessen, und auch wir halten uns daran.«
»Dann wollt ihr mich einsperren - oder?«
»Wie kommst du darauf?«, flüsterte Schwester Agnes entrüstet. »Das finde ich nicht fair. Niemand ist in diesem Internat eingesperrt. Wer sagt denn so etwas?«
»Manche Schülerinnen.« Es war Elisa nur so herausgerutscht, und sie versuchte augenblicklich, die Antwort zu relativieren. »Sie sagen es nicht direkt.«
»Aber wie kommen sie darauf?«
»Sie denken einfach so, Schwester Agnes. Hier ist nicht alles das erlaubt, was auf anderen Schulen an der Tagesordnung ist. Das habe ich damit gemeint.«
»Da bin ich aber sehr froh, und, mein Kind, ich bin nicht von gestern. Ich weiß auch, dass es bei gewissen Partys sehr wild zugeht. Da kann man sich noch so viel vornehmen, der Teufel, der steckt auch manchmal im Alkohol und in den Drogen.«
»Damit habe ich nichts zu tun. Ich will nur meine Mutter besuchen, das ist alles.«
»Ja, wenn sie normal wäre.«
Elisa schloss für einen Moment die Augen. »Bitte, was meinen Sie damit? Kennen Sie meine Mutter denn so genau? Wissen Sie, was mit ihr los ist? Sie müssen doch einen Beweis dafür haben, wenn Sie so etwas behaupten.«
»Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Aber ich habe gute Ohren. Was hier in den Dörfern der Umgebung passiert, das dringt auch bis zu uns.«
»Und deshalb glauben Sie über meine Mutter informiert zu sein?«
»Ja.«
»Wie das?«
»Man erzählt sich einiges über sie. Man spricht mit ihr, ohne Zweifel. Sie ist keine Ausgestoßene. Sie lebt am Dorfrand und führt ein kleines Geschäft. Einen Kräuterladen, wie man mir sagte. Manche bezeichnen sie als Hexe. Es gibt Leute, die sollen sie des Nachts tanzen gesehen haben. Sie soll dann den Teufel angerufen haben, aber ich selbst bin nicht dabei gewesen, meine Liebe. Ich kann nur wiederholen was man sich so erzählt, und das«, sie hob die Schultern, »dringt eben bis zu uns durch. Um es kurz zu machen, Elisa, deine Mutter wird noch heute als Hexe angesehen, und das in einer Zeit des Internets und des Computers.«
»Das glaube ich nicht. Hexen gibt es in Märchenbüchern, und die kann ich mir hier ausleihen. Hexen hat es nie gegeben. Ich will daran nicht glauben. Über dieses Thema
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