Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Vorwort
Frage: »Wie ist das eigentlich, wenn Sie sich in Europa mit den anderen Finanzministern treffen, wird denn da auch richtig gestritten?«
Antwort: »Na ja, wir streiten schon, meistens versuchen wir zwar höflich zu sein, manchmal dauert’s aber auch bis in die Nacht, und dann wird man auch müde, und dann kann man verstehen, wenn da einer mal ausflippt, nachdem man zehn Stunden getagt hat.«
Ein schönes Interview mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble! Nicht im heute-journal , sondern bei Logo , den ZDF -Kindernachrichten. Die Fragen stellte meine Kollegin Sieba, zehn Jahre alt. Nicht, dass Herr Schäuble hier ein Geheimnis verraten hat, von dem die Welt bis dahin nichts wusste. Natürlich ist uns allen klar, dass bei diesen EU -Gipfeln die Beteiligten irgendwann kaum noch die Augen aufhalten können und der eine oder andere schon mal »ausflippt«. Hätte ich aber Herrn Schäuble gefragt, »Na, Herr Minister, ist denn letzte Nacht mal wieder einer ausgeflippt?«, hätte er das in gewählten Worten weit von sich gewiesen. Politiker rasten nicht aus, wo denken Sie hin? Fragt aber ein süßes und cleveres Kind, greifen bei Politikern die gleichen psychologischen Mechanismen wie bei allen anderen Menschen: Man will ein Kind nicht anlügen, man will nett sein, und man will sich verständlich ausdrücken. Deshalb schicken erwachsene Journalisten ja so gerne Kinderreporter los – das funktioniert immer wieder sehr gut.
Das Phänomen lässt sich aber auch bei den Journalisten selbst beobachten. Mir ging es jedenfalls so, als ich 2010 das Jugendbuch »Kanzler lieben Gummistiefel« schrieb. Man legt einfach mal fröhlich-locker los, hat überhaupt keine Scheu vor Vereinfachungen oder Zuspitzungen, verkrampft nicht bei der Frage, ob dieses oder jenes politisch korrekt genug, differenziert genug, abgewogen genug formuliert ist. Gleichzeitig sind Kinder eine Herausforderung. Den Eltern unter Ihnen muss ich das nicht sagen: Kinder stellen oft die brutalsten Fragen. Die scheinbar simplen »Wieso-Weshalb-Warum«-Überlegungen, auf die man spontan keine richtig guten Antworten parat hat. »Wieso gibt es Mond und Sterne? Weshalb gibt es arme Menschen? Warum werden immer noch Kriege geführt?« Tja. Warum eigentlich? Das sind so die Themen, an denen man sich schön abarbeiten kann.
Kaum war das Buch veröffentlicht, stellte ich allerdings fest: Es wurde offenbar nicht nur von Kindern und Jugendlichen gelesen, sondern auch von Erwachsenen. Es scheint einen Bedarf zu geben für ein Buch, das grundsätzliche politische Fragen, mit denen man sich seit Schulzeiten nicht mehr beschäftigt hat, noch mal diskutiert. Das politische und ökonomische Begriffe und Zusammenhänge beleuchtet, die in Nachrichtensendungen und Zeitungsartikeln oft vorausgesetzt werden. Und das Blicke hinter die Kulissen gewährt und transparent macht, wie es in der politischen Praxis tatsächlich läuft. In Deutschland, in Europa und in der Welt.
Da eröffnet sich natürlich eine Vielzahl sowohl zeitloser als auch aktueller Themen: Was verstehen wir eigentlich unter »Freiheit« oder »(Steuer-)Gerechtigkeit«? Welche Weltsicht verbindet sich mit dem Begriff »Realpolitik«? Warum ist der Euro in die Krise geraten? Was läuft hinter den Kulissen von EU -Gipfeln? Wie human ist eine »humanitäre Intervention«? Ist Globalisierung gut oder schlecht? Wie inszeniert sich Politik in einer Mediendemokratie?
Und plötzlich war meine Schreibhaltung doch nicht mehr so unbekümmert wie seinerzeit beim Kinderbuch. Was nimmt man rein, was nicht? Wie tief geht man in die Details? Will jeder Wahlbürger genau wissen, was die »Euro-Stabilisierungsfazilität« oder Eurobonds sind? Vermutlich nicht. Andererseits: Wenn im Zuge der Euro-Krise ständig davon die Rede ist, lohnt es sich doch, dazu einige Sätze zu sagen. Sie finden Bonds und Fazilität bei den europäischen Insider-Vokabeln. Da können Sie jetzt direkt nachschauen und einen Schnelltest machen, ob Ihnen solche Erklärungen etwas bringen.
Anderes Beispiel: Braucht man ein Kapitel über die DDR ? Ältere Leser wohl eher nicht. Aber jüngere, 20-, 25-Jährige, könnten das durchaus sinnvoll finden. Manche Leser haben Lust, sich noch mal mit Grundfragen der politischen Philosophie oder volkswirtschaftlichen Zusammenhängen zu beschäftigen, andere werden das Kapitel zur Demokratietheorie nur überfliegen. Der eine interessiert sich vielleicht mehr für die Probleme der Entwicklungshilfe und den
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