1548 - Orbit im Nichts
gerieten in raschere Bewegung, als die ML-Sonde Nr. 1 in Richtung des angewiesenen Zielgebiets beschleunigte. Durch den Erfolg seines ersten Versuchs ermutigt, gab Myles Kantor einen weiteren Befehl. „Programmzähler. Sonde zwei."
Auch diese Anweisung wurde in psionische Impulse umgesetzt und dem Sondensystem zugeleitet. Sonde Nr. 2 beschleunigte ebenfalls. Sekunden später sah Myles Kantor in den beiden unteren Bildquadranten das vertraute Muster endloser Reihen in unterschiedlichen Farben leuchtender Speicherplätze, jeder Platz 1024 Bits lang: Register mit den Inhalten der Programmzähler und den Daten der Stapeladressen, das Herz der Zentraleinheit - der Ort, an dem über die Tätigkeit aller 8196 Prozessoren des Multisyntrons genauestens Buch geführt wurde. „Sonde eins einsatzbereit bei Stapeladresse eins", sagte die Zentraleinheit durch den Mund des Servos. „Sonde zwei einsatzbereit bei Programmzählereins."
Myles Kantor fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Eine schier unerträgliche Spannung hatte sich seiner bemächtigt. Er war den Saboteuren auf der Spur. Irgendwo da drinnen, in den langen Reihen der Programmzähler und Stapel waren sie am Werk. Für den Mann im Kantormobil hatte die Jagd, die in wenigen Sekunden beginnen würde, etwas ungemein Reales. Andere mochten in den flimmernden Datenfeldern seelenlose Bits und Bytes sehen. Myles Kantor dagegen überblickte das Schlachtfeld, auf dem er den Gegner zu schlagen gedachte, und die langen Reihen der Register waren Barrikaden, die den Saboteuren als Deckung dienten. Er mußte nur herausfinden, wo sie sich versteckt hielten. „Beide Sonden - marsch!" kommandierte er, wieder in den akustischen Befehlsmodus verfallend, mit der Entschlossenheit des siegesbewußten Feldherrn.
Die Reihen der Register glitten unter den Wahrnehmungsmechanismen der ML-Sonden dahin.
Myles Kantor sah die wechselnden Dateninhalte funkeln und flimmern. In allen Abteilungen des Multisyntrons wurde fleißig gearbeitet. Während die Sonden über die Register mit den Dateninhalten der Programmzähler und der Stapeladressen dahinschwebten, zeichneten sie alles auf, was sie sahen, und leiteten die Informationen der Zentraleinheit zu, die sie sofort zu analysieren begann. Myles hoffte, auf diese Weise jeder verdächtigen Aktivität auf die Spur zu kommen. Er war überzeugt, daß die Saboteure Computerviren ins System geschleust hatten, deren Aufgabe es war, Programm- und Datenbereiche zu verwüsten. Eine solche Tätigkeit würde sich durch bloßes Betrachten der Registerinhalte nicht erkennen lassen. Es mußten vielmehr die von den Sonden gesammelten Daten mit aufwendigen und komplexen Routinen verarbeitet und Korrelationen zwischen Datenbewegungen und Programmabläufen gefunden werden. Das konnte nur der Syntron.
Nachdem Myles Kantor die Suche einmal in Gang gebracht hatte, hätte er sich getrost wieder zur Ruhe begeben können. Den Rest der Aufgabe würde die Zentraleinheit in eigener Regie erledigen.
Aber in ihm war eine brennende Unruhe, die ihn davon abhielt, in sein Quartier zurückzukehren.
Intuitiv wußte er, daß er etwas finden würde, noch bevor der Syntron seine Korrelationsroutinen zu Ende gerechnet hatte. Die Gabe der Intuition hatte ihn davor gewarnt, daß der Gegner in dieser Nacht einen erneuten Vorstoß unternehmen würde. Dieselbe Gabe verlieh ihm die Gewißheit, daß er die Spur der Saboteure noch eher als der Syntron finden werde.
Er hatte sich nicht getäuscht. Die beiden Sonden hatten binnen weniger Sekunden die ersten paar Tausend Register abgekämmt, da tauchte im Bildhintergrund eine Gruppe von Datenfeldern auf, die funkend und flackernd zu erkennen gaben, daß in diesem Prozessorbereich mit höchster Intensität gearbeitet wurde. Hier war ein Benutzer der höchsten Prioritätsklassifizierung am Werk. Myles Kantor befahl den Sonden anzuhalten.
Derart hektische Aktivität war noch nie vorgekommen. Die Datenfelder sprühten. Sie schienen in Flammen zu stehen, so rasch wechselten ihre Dateninhalte. Wer auch immer es sein mochte, der dieses Segment des Multisyntrons für seine Zwecke mit Beschlag belegt hatte: Es war offenbar, daß ihm die Zeit auf den Nägeln brannte. „Display", sagte Myles. „Beginnend mit dem vordersten Programmzähler und der obersten Stapeladresse.
Jeweils vierzig Werte."
Zwei Datensäulen erschienen im linken oberen Bildquadranten. Myles überflog die Ziffern- und Zeichenketten mit dem Blick des
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