1690 - Die Schwelle zum Jenseits
Schultern. »Leider hat sie es nicht getan.«
Ich hatte meinen Teller leer gegessen und konnte nun sprechen. »Haben Sie denn einen Verdacht? Ich meine, Bill hat mir schon einiges erzählt und …«
»Pardon, wenn ich Sie unterbreche. Ja, ich habe einen Verdacht. Das muss ich sagen.«
»Gegen wen?«
Romana musste erst mal schlucken, bevor sie eine Antwort gab. »Ich verdächtige meine eigene Tochter.«
»Das ist hart.«
»Genau, Signore Sinclair. Aber ich kann Ihnen sagen, dass Marcia einen falschen Weg gegangen ist. Sie hat sich mit einem Gebiet beschäftigt, an das ich nicht mal denke, und ich bin einige Jahre älter als sie. Es ging ihr um den Tod.«
»Das hörte ich.«
»Sie sprach, als wir beide mal allein waren, vom Jenseits, das so wunderschön sein sollte. Ich habe natürlich nicht zustimmen können, für mich ist das Jenseits nicht wunderbar, sondern ein Albtraum. Der Meinung war sie nicht und …«
»Sorry, wenn ich Sie unterbreche, Signora Gitti, kann es denn sein, dass Ihre Tochter unter Depressionen litt?«
»Nein, nein, das auf keinen Fall.« Sie antwortete sehr spontan. »Das Gegenteil davon war eher der Fall.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das will ich Ihnen sagen. Wenn Marcia von diesem Jenseits sprach, dann hob sich ihre Stimmung. Dann war sie regelrecht euphorisch. Da steckte plötzlich eine Freude in ihr, die einfach raus musste. So ist es gewesen.«
»Und Sie wissen nicht, wer sie auf den Gedanken gebracht haben könnte, dass dieses Jenseits so interessant ist?«
»Nein.«
»Keine Freunde oder Bekannte, die den gleichen Weg eingeschlagen haben?«
Sie schüttelte den Kopf.
Bill stellte seine Tasse ab und fragte: »Was habt ihr denn unternommen?«
Romana Gitti lehnte sich zurück, schloss die Augen und atmete tief ein. Danach sagte sie mit leiser Stimme, wobei sie jetzt die Augen offen hielt und auf die lange Markise schaute, die uns vor der Sonne schützte: »Alles, was du dir denken kannst, Bill. Nicht nur, dass wir Freunde und Bekannte angerufen haben, wir haben uns auch informiert, aber es war alles vergebens. Sie ist seit einigen Tagen verschwunden. Eine Woche, um genau zu sein, und jetzt haben wir zu den letzten beiden Mitteln gegriffen.« Sie richtete ihren Blick auf Bill Conolly. »Ich habe dich alarmiert, weil ich ja weiß, womit du dich beschäftigst, und ich habe – oder wir haben die Presse eingeschaltet. Heute findet man ihr Bild in verschiedenen Zeitungen. Es kann ja sein, dass sich jemand an sie erinnert. Viel Hoffnung habe ich dabei nicht.«
»Ja«, sagte Bill, »das kann wohl sein.« Er hob die Schultern. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, gibt es keine Spur, der auch wir nachgehen könnten.«
»So ist es. Ich habe ja gedacht, dass wir eine finden, bevor ihr hier eintrefft, aber das ist bis jetzt nicht der Fall. Ihr seid hier, eine Hoffnung hat sich erfüllt, und jetzt kann ich nur darauf setzen, dass das Bild in den Zeitungen einen Erfolg bringt. Darauf festlegen möchte ich mich allerdings nicht.«
»Das kann ich verstehen.« Bill sah mich an. »Was meinst du, John, hast du eine Idee?«
»Hm, das ist eine Frage. Irgendwo müssen wir ja anfangen. Vielleicht bringt es uns etwas, wenn wir uns das Zimmer Ihrer Tochter ansehen, Signora.«
»Das können Sie gern. Nur muss ich Ihnen sagen, dass Marcia zumeist in unserem Haus in Mailand gelebt hat. Hier ist es ihr immer zu langweilig gewesen. Sie brauchte den Trubel und auch Action. Für junge Menschen ja nicht ungewöhnlich.«
»Geschmackssache«, sagte ich.
Romana beugte sich zur Seite und streckte dabei ihren Arm aus. Auf einem Hocker lag eine zusammengefaltete Zeitung, die sie an sich nahm und die obere Seite vor uns hinlegte.
»Da sehen Sie das Bild unserer Tochter.«
Bill und ich schauten zugleich hin und sahen das lachende Gesicht einer jungen hübschen Frau mit schwarzen langen Haaren. Mir wurde ganz anders, als ich daran dachte, dass Marcia in die Fänge derjenigen Mächte geraten war, die ich jagte.
Bill nickte und presste die Lippen zusammen. Bestimmt verfolgte er den gleichen Gedanken wie ich.
»Je mehr Zeit vergeht, umso geringer wird meine Hoffnung«, sagte die Frau mit leiser Stimme. »Das ist nun mal so, und es würde keiner Mutter auf der Welt anders ergehen.«
Da stimmten wir ihr zu. Ich nahm den Faden wieder auf und sagte: »Es ist auch für uns schwer, einen Punkt zu finden, wo wir anfangen sollen. Es steht fest, dass Marcia Kontakt mit einer Person hatte, die sie beeinflusst
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