1690 - Die Schwelle zum Jenseits
schrie sie. »Verdammt noch mal, halt dein Maul! Oder willst du sterben?«
Alle hatten sie gehört, und es gab keinen Gast, der nicht unter Schock stand.
Auch Bill und ich mussten diese Aussage erst verdauen. Wir wussten, dass es kein Spaß war. Alles sah danach aus, als würde die Begegnung zwischen Mutter und Tochter eskalieren, besonders nach der Antwort von Romana Gitti.
»Was hast du da gesagt? Ich soll sterben? Bist du denn wahnsinnig geworden? Hast du den Verstand verloren?«
»Nein, das habe ich nicht. Ich bin völlig klar. Ich habe nur einen anderen Weg eingeschlagen, und jeder deiner komischen Gäste soll hören, welcher das ist. Ich habe mich der Hölle verschrieben. Ich habe den Teufel geküsst und er hat mir seine Kraft eingehaucht. Er steckt in mir, und das will ich euch allen zeigen.«
In der nächsten Sekunde streckte sie den schockierten Gästen ihre Arme entgegen. Dabei hatte sie die Finger gespreizt. Alle Blicke richteten sich nur auf die Hände, die sich plötzlich zu verändern begannen.
Auch Bill und ich sahen das Phänomen. Die Finger streckten sich, sie wurden länger, und selbst in diesem nicht eben idealen Licht war zu sehen, dass die Nägel zu Messerspitzen wurden.
Auch Romana schaute zu. Sie stand nur einen Schritt von ihrer Tochter entfernt, Augen und Mund weit aufgerissen. Sie war zur Salzsäule erstarrt und konnte nicht fassen, was mit ihrer Tochter passiert war.
»Lass es!«, keuchte sie schließlich, »lass es sein. Das ist der reine Wahnsinn!«
»Nein!«, schrie Marcia, die zu einem menschlichen Monster geworden war. »Ich habe dich ausgesucht, und du wirst als Erste einen Blick in die Hölle werfen können, direkt nach Carlo, diesem geilen Idioten …«
Dann griff sie an!
***
»Komm«, sagte ich nur.
Es wurde Zeit für uns, falls es nicht schon zu spät war, weil wir zu lange gezögert hatten. Jetzt gab es kein Halten mehr für uns, und es war gut, dass wir uns relativ nahe an der Terrasse aufhielten. Zudem waren wir die einzigen Gäste, die reagierten, denn alle anderen waren in eine regelrechte Schockstarre gefallen.
Marcia zielte mit ihren mörderischen Händen direkt auf den Hals ihrer Mutter, die dies kaum fassen konnte. Sie drehte den Kopf im letzten Moment zur Seite, aber sie schaffte es nicht ganz. Die zu Messern gewordenen spitzen Fingernägel erwischten sie trotzdem.
Sie rissen die dünne Haut am Hals auf. Plötzlich trat Blut aus den Wunden. Die Frau verspürte Schmerzen. Sie schrie nicht, sie sank nur zusammen.
Marcia war sofort bei ihr. Mit einer Hand wollte sie ihre Mutter in die Höhe zerren, um mit der anderen brutal in die Kehle stoßen zu können und damit dem Leben der Mutter ein Ende zu bereiten.
Ich lief vor Bill, ich war auch näher an den beiden Frauen und wollte Romana anspringen, um sie im letzten Moment von ihrer mörderischen Tochter wegzuzerren.
Da fiel ein Schuss.
Die Kugel pfiff hautnah an mir vorbei. Ich wusste, dass Bill geschossen hatte, und er hatte getroffen. Die Kugel war an Romana vorbei geflogen und in den Körper ihrer Tochter gedrungen, die durch den harten Einschlag zurückgestoßen wurde. Sie hätte fallen müssen, doch das tat sie nicht. Stattdessen lachte sie auf, schüttelte den Kopf, fing sich wieder und machte sich für einen neuen Angriff bereit.
»Bleib du bei Romana!«, brüllte Bill mir in den Nacken. Dann war er schon an mir vorbei und in der Nähe der Tochter.
Die lachte ihn an, zeigte ihm ihre mit Blut befleckten Finger und wirbelte sie vor seinen Augen hin und her.
»Dich hole ich auch!«, brüllte sie.
»Bestimmt nicht!«
Bill dachte in diesem Moment an nichts anderes als an die Vernichtung dieser teuflischen Kreatur.
Dann schoss er wieder!
Nicht nur einmal, nein, er leerte sein gesamtes Magazin und jagte jede Kugel in den Kopf der Frau, bis Marcia Gitti auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte.
Bill richtete sich auf, als ich mit scharfer Stimme seinen Namen rief. Er drehte sich um und wischte mit dem Handrücken über sein Gesicht. Dann schaute er mich an und ich stellte fest, dass sein Blick flackerte.
»Es musste sein, John, es musste einfach sein …«
***
Ich nickte nur. Sprechen konnte ich noch nicht. Dabei blickte ich auf den Boden und hielt Romana Gitti fest, deren Kopf auf meinen Oberschenkeln lag. Die Wunden am Hals bluteten zwar, aber sie waren nicht lebensgefährlich. Ein Arzt war bereits unterwegs, den jemand von den Gästen gerufen hatte.
Romana sah mich an. Mein Gesicht
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