1756 - Das Grauen hieß Elvira
gesehen?«
»Nein.«
»Und ist dir jemand aufgefallen, der nicht hier ins Haus gehört? Eine fremde Person, die sich seltsam verhalten hat?«
»Auch nicht.«
»Und gehört hast du auch nichts?«
»Nein, aber ich weiß, dass sich John in seiner Wohnung aufhält.«
»Ja, das wird er wohl. Und das werde ich mal überprüfen.«
Shao erschrak leicht. »Willst du zu ihm?«
Suko verzog die Mundwinkel. »Das kann ich dir noch nicht genau sagen. Möglich ist es. Ich werde jedenfalls nicht hier in der Wohnung bleiben, sondern rübergehen und lauschen.«
Shao nickte und sagte: »Das habe ich auch getan.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter.«
»Wie?«
»Ich habe nichts Verdächtiges gehört.«
»Das ist nicht schlecht.« Suko holte einen Schlüssel, der nicht zu seiner Wohnung passte, sondern zu der, die nebenan lag.
Shao bekam große Augen. »Du willst zu John rein?«
»Wenn es sein muss, bin ich gerüstet. Zuvor aber werde ich erst mal lauschen.«
»Dann tu das. Ich halte hier die Stellung.«
»Alles klar.«
Shao wartete, bis ihr Partner die Wohnungstür geöffnet hatte, dann ging sie bis zur Schwelle vor und blieb dort stehen, ohne die Tür zu schließen.
Sie sah Suko nebenan stehen. Er hatte sich leicht gebückt und sein Ohr gegen die Tür gedrückt.
Shao war neugierig. Sie flüsterte: »Hast du was gehört?«
Suko gab keine Antwort. Er lauschte allerdings weiter, sodass Shao davon ausging, dass sich in der Wohnung doch etwas tat. Sie ärgerte sich darüber, so weit weg vom Geschehen zu sein, und bekam plötzlich große Augen, als sie sah, was Suko tat.
Er griff in seine rechte Jackentasche und holte einen Gegenstand hervor, den sie nicht erkannte, weil er zu klein war. Als sich die Hand dem Türschloss näherte, wusste sie, dass es sich nur um einen Schlüssel handeln konnte.
Auch John hatte von ihrer Wohnung einen Schlüssel.
Mit einem Zischlaut machte Shao auf sich aufmerksam. Suko drehte den Kopf.
»Hast du was gehört?«, raunte sie.
Suko wiegte sich in den Schultern. »Ein wenig.«
»Und weiter?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls fühle ich mich bemüßigt, nachzuschauen.«
»Dann bitte.« Shao stellte das Fragen ein und wartete darauf, was passieren würde...
***
Was tat Elvira?
Sie sah endlich das Kreuz. Den Gegenstand, der ihr schon einigen Kummer bereitet hatte, als er ihr noch nicht aufgefallen war. Nun aber starrte sie es an, und ich wartete auf eine Reaktion, die noch nicht erfolgt war.
Ich schaute in ihr Gesicht. Der Ausdruck hatte sich nicht verändert. Nach wie vor erlebte ich die Starre, sodass ihre Züge hölzern wirkten. Auf der Stirn malten sich einige Schweißtropfen ab, und der Mund stand weiterhin offen.
Als normaler Mensch hätte sie sich nicht vor diesem Anblick fürchten müssen, aber sie war kein normaler Mensch. Sie war etwas ganz anderes.
Sie war jemand, der von dunklen Seelen manipuliert wurde und nun eine Reaktion zeigen musste.
Das trat auch ein.
Sie zuckte. Dann lösten sich leise Laute aus ihrem Mund. Danach fing sie an zu schreien, aber es waren keine lauten Schreie, sondern eher leise und gedämpfte. Sie blieb auf der Couch sitzen, aber sie war nicht mehr ruhig, ihr Körper zitterte, und sie glotzte immer nur auf das Kreuz.
»Du siehst es?«, fragte ich.
So etwas wie ein »Ja« verließ ihre Kehle.
»Es ist das Kreuz. Es ist ein wunderbares Relikt aus einer alten Zeit, als man noch an Engel glaubte und immer daran dachte, welch eine Macht sie besaßen. Und diese Macht dokumentiert sich in den Zeichen der Erzengel. Deshalb setze ich auf das Kreuz. Es ist das Zeichen des Sieges, das hat sein Erschaffer, der Prophet Hesekiel, schon weit vor unserer Zeit gewusst.«
Ich hatte ihr jetzt einiges gesagt und war gespannt, wie sie reagierte. Zu viel konnte ich nicht von ihr verlangen. Es war auch möglich, dass zwei Kräfte in ihrer Brust kämpften. Das Böse war stark, ich kannte es, und ich konnte nur hoffen, dass ihr mein Kreuz etwas entgegensetzte.
Es passierte erst mal nichts. Der Anblick des Kreuzes sorgte nicht für eine gegensätzliche Reaktion bei Elvira Little. Sie saß mir nach wie vor gegenüber, doch sie hütete sich davor, das Kreuz auch nur mit den Fingerspitzen zu berühren.
Aber sie litt unter dem Anblick, das bekam ich mit. Sie stöhnte auf, sie bewegte die Augen, denn sie suchte nach einem Ausweg.
»Nein!«, sagte ich. »Du wirst bleiben. Ich will, dass die Seelen der Engel deinen Körper verlassen. Sie haben darin nichts zu suchen. Ist dir das
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