1756 - Das Grauen hieß Elvira
Lippe...«
»Unsinn, das hat nichts mit meiner Lippe zu tun. Ich bin nicht aus Zucker. Damit werde ich schon fertig. In ein paar Tagen ist alles vorbei, sage ich dir.«
»Okay, ich habe es nur gut gemeint.«
Rita tätschelte die Hand der jüngeren Frau. »Ist schon okay, wirklich. Kannst du denn fahren?«
Elvira lachte. »Und ob. Ich fahre zwar keine Rennen, aber für den Hausgebrauch reicht es.«
»Das ist gut.«
»Und wohin sollen wir fahren?«
Rita Cromwell überlegte. »Die Zentrale ist jetzt geschlossen. Ich denke, dass wir die Pakete im Wagen lassen und ihn bei mir im ehemaligen Vorgarten abstellen, wo er immer steht.«
»Das ist eine Lösung.«
»Und wenn du willst, Elvira, kannst du auch bei mir übernachten. Du weißt, dass ich Witwe bin, und meine Wohnung ist groß genug.«
»Ja, der Vorschlag ist nicht schlecht.«
»Dann fahr endlich los.«
Darauf hatte Elvira gewartet. Auch sie hatte keinen Bock mehr, nahe der drei Häuser zu stehen. Es war schade, dass sie nicht alle Menschen hatten beschenken können, die vorgesehen waren. Aber so war das Leben nun mal.
Elvira startete. Die Schaltung ging schwer. Es kratzte einige Male im Getriebe, dann lief das Fahrzeug rund, und Elvira konnte das Ziel ansteuern.
Sie überlegte, ob sie wirklich bei Rita schlafen sollte. Vernünftig wäre es schon gewesen, denn sie hatte keine Lust, in der Dunkelheit den Weg nach Hause zu Fuß zurücklegen zu müssen.
Hinzu kam, dass Rita wirklich Platz genug hatte. Sie hatte ein kleines und recht schmales Haus geerbt, in dem schon ihre Eltern gelebt hatten.
Dazu gehörte ein Vorgarten, den sie allerdings zweckentfremdet hatte. Es wuchs kein Gras mehr. Dafür war der Boden mit Steinen belegt worden, sodass sie dort ihren Van abstellen konnte.
Elvira wusste das alles. Sie lenkte das Fahrzeug auf die schmale Zufahrt und stellte den Motor ab.
»Das wäre geschafft.«
»Du bist gut gefahren.«
»Hör auf, das hätte um diese Zeit jeder Idiot gekonnt, es war kaum Verkehr.«
»Trotzdem genehmigen wir uns einen Drink.«
»Dagegen habe ich nichts.«
Beide Frauen hatten sich losgeschnallt und öffneten die Türen und stiegen aus. Sie gingen zur Tür und Rita holte den Hausschlüssel hervor, um zu öffnen, als es passierte.
Woher die Typen gekommen waren, das war für sie nicht zu sehen gewesen. Sie waren hinter ihnen, und sie schlugen augenblicklich zu. Die Hiebe trafen die Köpfe der Frauen, die daraufhin zusammensackten. Die Hundesöhne griffen sofort zu und schleiften beide ins Haus...
***
Man konnte von einem grausamen Erwachen sprechen, das Elvira erlebte. Dabei lag sie nicht mal auf einem harten Boden. Unter sich spürte sie die Weichheit einer Matratze, und sie empfand es als ungewöhnlich, dass sie es sofort feststellte.
Aber das andere überwog.
Und das waren die Schmerzen, die sich nicht verdrängen ließen. Sie waren da, sie hatten sich regelrecht bei ihr festgebissen, und das nicht nur im Kopf. Auch im Hals schmerzte es und an den Schultern ebenfalls.
Elvira Little ließ die Augen geschlossen, um sich auf sich selbst zu konzentrieren. Sie lag auf dem Rücken und traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Sie wollte ihre Umgebung zunächst mal auf eine andere Art und Weise ertasten.
Dass sie nicht bei sich zu Hause lag, stand fest. Wie hätte das auch sein können, denn ihre Erinnerung hatte nicht gelitten. Sie war zusammen mit Rita Cromwell zu deren Haus gefahren. Beide waren sie ausgestiegen und dann...
Ja, dann war es über sie gekommen wie ein Sturmwind. Sie hatten ihm nichts entgegenzusetzen gehabt. Die Gewalt hatte sie überrannt, und dann war die Bewusstlosigkeit über sie gekommen und hatte sie in ihre Tiefen gezogen, aus denen sie erst jetzt auf einem Bett erwacht war, das wahrscheinlich im Haus ihrer Freundin Rita stand.
Als sie daran dachte, durchfuhr sie ein nicht eben gelinder Schreck. Sie spürte einen Druck in der Kehle und fragte sich, ob Rita überhaupt noch am Leben war. Sie hatte bisher nichts von ihr gehört. Es hatte sie niemand angesprochen.
Der Druck war da. Er würde bleiben. Er würde ihre Gedanken überschatten. Sie würde es nicht schaffen. Es war alles so anders geworden. Sie hatte das Gefühl, dass nichts mehr so werden würde, wie sie es kannte. Es gab kein Zurück.
Und jetzt...?
Noch immer gab es die Schmerzen. Aber nicht nur sie. Es gab auch etwas anderes. Und das hatte mit ihrem Kopf zu tun. Sie dachte nach, sie wollte wissen, was passiert war – und wurde gedanklich
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