Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
Prolog
Palastsuche
Laura betrachtete das Werk der Spürer, die sich wie immer während der letzten Tage in einem eigens für sie errichteten »Wohlfühl-Zelt« versammelt hatten. Hier saßen sie beisammen, in angenehmem Dämmerlicht, weit weg vom üblichen Lagergeschehen, und konzentrierten sich darauf, den Verschollenen Palast zu finden.
»Das ist er«, flüsterte Venorim Laura zu und deutete auf ein schemenhaftes Bild, das sich aus Rauch und Feuer eines lustig prasselnden Feuers manifestierte. »Der Verschollene Palast. Wir wissen, dass er da ist, und er muss ganz nahe dran an Morgenröte sein.«
»Ihr könnt ihn also lokalisieren?«, fragte Laura mit laut klopfendem Herzen. »Wir können endlich zu Königin Anne und König Robert vordringen?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Der Stoff von Venorims schwarzem Kleid raschelte leise, als sie die Beine übereinanderlegte. »Wir haben bloß einen Beweis erspürt, dass er sich in unmittelbarer Nähe befindet. Die alten Geschichten und die Gerüchte stimmen.«
»Immerhin etwas«, sagte Laura enttäuscht.
»Unterschätze den Gehalt dieser Information nicht.« Venorim zog etwas Dunkles, Glitschiges aus einer Schüssel, die vor ihr stand, und schob es in ihren Mund. Das Etwas bewegte sich noch, und es gab seltsame Geräusche von sich. Erst nachdem die Giftmischerin zweimal kräftig zugebissen hatte, verstummte es. »Das Suchgebiet ist eingeschränkt. Wir gewinnen an Sicherheit, und wir können nach und nach alle ... Tricks anwenden, um den Verschollenen Palast ausfindig zu machen. Wir wissen, in welchem Heuhaufen sich die Nadel befindet – und dass es eine gibt.«
»Wie beruhigend ...«
Venorim blickte sie aus ihren tiefschwarzen Augen an, ohne zu erkennen zu geben, ob sie über Lauras patzige Bemerkung böse war oder nicht. Sie blieb undurchsichtig wie so oft, zeigte keinerlei Emotionen.
»Es tut mir leid«, murmelte Laura nach einer Weile. »Die Situation zehrt an meinen Nerven. Diese Untätigkeit, das dauernde Warten ...«
Venorim wandte sich ab. Sie war sichtlich nicht auf ein Gespräch aus und kümmerte sich nun wieder um das immer mehr an Konturen gewinnende Bild eines Palastes, der von dicken Mauern umgeben war.
Laura schweifte mit ihren Gedanken ab. Das Halbdunkel und das sonderbare Ambiente im Inneren des Zelts regten dazu an, nachzudenken und sich mit Dingen auseinanderzusetzen, für die sie sonst nur selten Zeit fand.
Ihr waren viele Prüfungen vorhergesagt worden, bevor sie den richtigen Pfad fände. Es würden große Unbilden auf sie zukommen, sie würde Verluste erleiden.
Ihrer Meinung nach hatte sie lange genug und bereits viel zu viel gelitten. Die Geschehnisse im Reich Innistìr belasteten sie über alle Gebühr – und dennoch hatte sie es geschafft, alle Hindernisse zu überwinden, über sich selbst hinauszuwachsen. Alle überlebenden Menschen waren in gewisser Weise über sich selbst hinausgewachsen. Sie hatten Wandlungen durchgemacht, die sie niemals für möglich gehalten hätten. Und dennoch waren sie längst nicht am Ende ihrer Reise angelangt.
Wie viel Zeit blieb ihnen noch, bevor sie den besonderen Gesetzen dieses Elfenreichs zum Opfer fielen? Drei Wochen? Einige Tage mehr oder weniger? Laura hatte vor einiger Zeit aufgehört, die Stunden zu zählen. Es machte sie nur nervös, ihr Leben in kleineren oder größeren Zeiteinheiten verschwinden zu sehen und zu spüren.
Der Kampf gegen Alberich war hoffentlich die letzte Prüfung, die sie bestehen musste. Sie fühlte, dass sie es mit dem Drachenelfen aufnehmen konnte, sobald sie den Dolch hatte. So gemein und hinterhältig dieser Kerl auch sein mochte – seine Tage waren gezählt. Sie hatte Barend Fokke vernichtet, sie hatte viel gelernt, war kräftiger geworden und war sich ihrer Fähigkeiten bewusst. Es blieb nicht mehr viel übrig von der etwas einfältigen jungen Frau, die mit Zoe, ihrer Freundin, in der Weltgeschichte herumgeflogen war, um ihren Liebeskummer zu ertränken. Und sie hatte gelernt, mit ihrem Pech zurechtzukommen und es als das anzunehmen, was es war: ein Teil ihrer Persönlichkeit, die zu ihrer eigenen Überraschung sehr facettenreich und sehr gefestigt war.
Etwas störte sie in ihren Überlegungen. Lärm, der hier nicht sein durfte. Draußen, vor dem Zelt, schrien Elfen und Menschen und Angehörige anderer Völker, als stünde der Weltuntergang bevor.
Das Bild des Verschollenen Palastes verblasste, die meisten Spürer richteten sich irritiert und verärgert
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