186 - Wächter der Stille
Augustus Island. Dafür konnte es viele Gründe geben, und jeder von ihnen ließ sich irgendwie akzeptieren. Bis auf einen.
Sie hat mich nicht versetzt, dachte der Mar’os-Krieger emphatisch. Taran’ea ziert sich nur. Das ist normal für ein derart junges Ding. Es macht sie umso begehrenswerter!
Agat’ol erinnerte sich an den emotionalen Abgrund, der sich in jener Nacht auf Augustus Island in ihm aufgetan hatte, als er einsehen musste, dass jedes weitere Warten zwecklos war.
Unsäglicher Frust hatte ihn aus dem Wasser getrieben, durch die Bucht, auf die Küstenstraße. Dort wanderte er unter den Sternen dahin – eigentlich um zu vergessen – und begegnete seinem Schicksal. Es erwartete ihn in der Nachbarbucht, in Gestalt eines fremden Hydriten und seiner seltsamen Begleiter.
Agat’ol kannte weder Quart’ol noch die beiden Marsbewohner Clarice Braxton und Vogler, die er für Menschen hielt. Sie kommunizierten auf Englisch, einer unmelodiösen Menschensprache ohne Schnalz- und Klacklaute. Quart’ol ahmte sie gut nach. Agat’ol fand keinen rechten Zugang zu ihr, verstand aber immerhin so viel und ergänzte das Gehörte mit Quart’ols mentalen Schwingungen, dass es Sinn ergab.
Das Gespräch gipfelte in einer erstaunlichen, ja atemberaubenden Information: Quart’ol hatte offenbar herausgefunden, wo sich die sagenumwobene, geheimnisvolle Stadt der Hydree befand: Gilam’esh’gad, das größte Rätsel ihrer Geschichte! Er wollte noch in derselben Nacht dorthin aufbrechen, und zwar mit den beiden Menschengestalten. (Was für ein frevelhafter, unglaublicher Verrat an unserer Rasse!, dachte Agat’ol). Doch etwas ging nicht mit rechten Dingen zu!
Der Mar’os-Krieger wurde hellhörig, als Quart’ol berichtete, wie er den Rat der Hydritenstadt Orbargol um Erlaubnis gebeten hatte, Vogler und Braxton mit nach Sydney nehmen zu dürfen. Der Art seiner Formulierungen ließ sich entnehmen, dass er den Abstecher nach Gilam’esh’gad vorsätzlich verschwieg.
Aber warum? Was stimmte an der Sache nicht? Wer waren die seltsamen Fremden von Augustus Island, und weshalb wollte Quart’ol mit ihnen erst nach Sydney? Gab es dort etwas, von dem er – Agat’ol – wissen sollte?
Fragen über Fragen. Sie hielten den Mar’os-Krieger beschäftigt, während er auf dem schnellsten Weg in die Korallenbucht zurückkehrte, um seine Waffen und den Soord’finn zu holen. Mit ihnen war er gut ausgerüstet. Das genügte allerdings nicht für eine Expedition in schwarze Höllentiefen wie den Marianengraben. Agat’ol kannte niemanden, der je auch nur an ein solches Unternehmen gedacht hatte, geschweige denn tatsächlich getaucht war. Man brauchte viel Kraft, Ausdauer und ein starkes Herz dazu.
Und Übung!
Als Quart’ol und seine Gefährten Augustus Island verließen, folgte ihnen der Mar’os-Krieger unbemerkt. Agat’ol nutzte den weiten Weg nach Ausala zum Tiefentraining für sich und den Soord’finn. Die beiden verbrachten die meiste Zeit unmittelbar über dem Meeresboden und kamen nur gelegentlich hoch, um Quart’ols Spur neu aufzunehmen. Es machte nichts, sie zwischendurch zu verlieren. Das Ziel war ja bekannt.
Agat’ols Route führte über unterseeische Schluchten und Riffe, durch endlose Wälder aus Baumalgen und in respektvollem Abstand am Tal der Schiffe vorbei, dem unheimlichsten aller Friedhöfe unter den Meeren. Schwamm man von Westen kommend auf den Eingang zu, lösten sich vor dem Auge des Betrachters nach und nach Hunderte fahler Segel aus der Dunkelheit, scheinbar unversehrt und von einem Wind gebläht, der gar nicht wehte.
Im Tal stand eine komplette Armada versunkener Großsegler. Aufrecht, wie zum Auslaufen bereit. Wer wissen wollte, warum diese uralten Schiffe nicht faulten und zerfielen, der musste sich an ihre verspukten Körper wagen. Nur wenn man sie berührte, konnte man ihr Geheimnis erkennen: Sie waren versteinert. Eine mikroskopisch kleine Seepockenart hatte alles Erreichbare besetzt – Holz, Takelage, Leinwand – und für die Ewigkeit konserviert.
Hydritische Wissenschaftler kamen selten an diesen Ort, um Forschungen zu betreiben, denn im Dunkel der stillen Friedhofsreihen waren flüchtige Schatten unterwegs, und von dem großen Flaggschiff hieß es, dort hause ein Ding auf dem Zwischendeck, das nicht von dieser Welt stammte. Doch das wirklich Unheimliche an den versteinerten Schiffen war etwas anderes. Die Tatsache nämlich, dass sie nicht vermisst wurden.
In keinem Land.
Agat’ol hatte
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