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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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1.
Schöner Junge
     
    In der hübschen, aber viel zu teuren deutschen Stadt Frankfurt am Main lebte ein junger Mann. Wer ihn anschaute, fand ihn schön: schwarzhaarig, mit Augen voll Seele, nicht zu scharfen, keineswegs aber weichen Gesichtszügen, ein bißchen muskulös, ein bißchen traurig, ein bißchen schlampig. Er trug sich mit heftigen Absichten und war auf genau die richtige Art und Weise frech. Viel redete er nicht. Aber was er sagte, das saß.
    Die aus eigener Schuld Dummen und Elenden hatten Angst vor ihm. Von denen gab es viele. Manchmal stieß er in der U- oder S-Bahn gegen ferngesteuerte Bankidioten, die sich auf albernen Metallrollern zwischen den Menschenströmen in langen Trippel- und kurzen Gleitphasen fortbewegten. Dann maß er sie von oben bis unten und sagte, nicht laut, aber deutlich, den Satz: »Du gehörst beseitigt.«
    Im Rieseneinkaufszentrum »My Zeil« wollte er einmal eine von aufgetakelten Lebedamen blockierte Furt zwischen zwei Parfümtheken passieren. Sie gaben ihm den Weg nicht frei. Da hob er beide Arme und sprach: »Laß mich durch, ich muß Geschenke für tolle Frauen kaufen, ihr wißt ja, wie das ist, seid ja auch tolle Frauen!«

    Die Lebedamen lachten und verliebten sich. Er durfte durch.
    Der schöne Junge besuchte das vernünftigste Gymnasium der Stadt. An Dienstagvormittagen fragte ihn dort manchmal seine Mathematiklehrerin, warum er montags nicht zum Unterricht erschienen war. Er guckte jedesmal traurig, wenn er ihr, mit leichten Variationen im Wortlaut, dann erklärte: »Wissen Sie, das ist so: Leider war ich tot. Kommt vom Feiern.« Sie sah es ein; er galt stets als entschuldigt. Diese Art Überzeugungskraft war es, die dem schönen Jungen bei allen, die ihn kannten, Respekt verschaffte.
    Unter der Woche stand er abends mit seinen älteren Rocker-Brüdern und deren türkischen Hip-Hop-Kumpels gewöhnlich an der Galluswarte herum. Wenn er dort die zermürbten Redakteure der Erhabenen Zeitung sah, die eben ihren Arbeitsplatz verlassen hatten, um zu Frau und Kind zu fahren, rief er ihnen hinterher, während sie in die Pendelzüge stiegen: »Hey Süßer! Den ganzen Tag mitschreiben macht fett und verrückt!«
    Oft sah ihm Jesus Christus aus der Deckung dabei zu.
    Jesus Christus hatte ein Hobby: Er interessierte sich aus Liebe zum Nochniedagewesenen stets für die bestmöglichen Menschen. So stand der Heiland mitunter am Wasserhäuschen oder oben am Gleis, auch mal unauffällig neben der Litfaßsäule, und spähte nach dem schönen Jungen.
    Man erkannte den Erlöser selten; Jesus Christus trug zu dieser Zeit einen langen Mantel, schwarze Jeans, mal ein T-Shirt, mal ein Hemd, immer feste Stiefel und einen schwarzen Cowboyhut. Als er den schönen Jungen nach Wochen und Monaten der eingehenden Beobachtung schließlich gut genug kannte, um sich über dessen Witze nicht mehr zu wundern, beschloß er, für einige Zeit aus dieser Geschichte zu verschwinden, denn es gab vor seiner Rückkehr einiges zu erledigen.
    Ein Angestellter der Erhabenen Zeitung sagte dem schönen Jungen eines Tages aus Versehen beinahe die ganze Wahrheit. Das geschah bei einem der Spottflirtspiele, die der schöne Junge gegen diese Leute losließ. Der übermüdete Redakteur drehte sich um, betrachtete den schönen Jungen von oben bis unten, wie dieser sonst die verwirrten Banker zu betrachten pflegte, die ihm vor die Füße rutschten, und stellte ruhig fest: »Ich weiß, junger Mann. Ich weiß, daß es fett und verrückt macht, wenn man den ganzen Tag mitschreibt. Ich weiß bloß nicht mehr, wie ich nach Hause finden soll.«
    »Spannend«, maulte der schöne Junge.
    Der Redakteur nickte: »Ja. Spannend. Wissen Sie, die Verbindungen und Straßen stimmen nicht. Die ganze Anlage der Stadt und überhaupt Deutschland, das stimmt alles nicht mehr. Und die Sache wird immer schlimmer werden, bis der Stoffhase kommt. Der haut uns vielleicht raus. Könnte ja sein. Man weiß es nicht.«
    Der schöne Junge wußte eine Erwiderung: »Fett bist du noch nicht. Aber verrückt schon.«

    Der schöne Junge hieß Hendrik.
    Seine Familie hatte nicht viel Geld, da sich sein Vater, ein bedeutender Professor, zu viele Kinder gewünscht und Hendriks Mutter die ungeschickterweise sogar gekriegt hatte.
    Weil aber Hendrik der klügste und jüngste von vier Brüdern war und sein Vater als bedeutender Professor wenigstens einen Nachkommen haben wollte, derihm keine Schande machte, durfte Hendrik das vernünftigste Gymnasium der Stadt

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