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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Traumzeit, der Welt und des Sternenlichts – aus seinem tausendjährigen Schlaf im Uluru erwacht war, hatten die Anangu keine Zeit mehr, fremde Stämme zu verjagen. Punta grinste. Das Leben war seither richtig schön!
    Schön war auch das Land. Besonders jetzt, zu dieser Stunde.
    Die Kata Tjuta flammten wie Feuer in der sterbenden Sonne, und über der endlosen Weite der Ebene lag goldener Dunst.
    Noch war die Hitze des Tages allgegenwärtig; sie entströmte den Felsen, flimmerte über trockenem Savannengras und erweiterte das Netz aus Rissen im staubigen Talboden. Doch an den Hängen flossen bereits erste Schatten herab, und bald schon – sehr bald! – würde die ausalische Nacht anbrechen, mit all ihren Geheimnissen, dem Zauber und Schrecken des Unbekannten.
    Punta erschauerte, trotz der Hitze. Er durfte nach Einbruch der Dunkelheit nicht im Freien sein. Niemand durfte das. Wenn die Sonne erlosch, wurden die Schildkrötentore geschlossen.
    Was danach im Tal geschah, konnte man zwar hören, aber nie beobachten. Das machte die Geräusche der Nacht zum Quell düsterer Geschichten!
    Der Schamane konnte sie gut erzählen, und Punta liebte es, ihm im Flackerschein des Lagerfeuers zu lauschen – satt gegessen und von auffällig stillen Kindern mit großen Augen umringt. Punta wusste, dass er im unterirdischen Höhlensystem der Mandori sicher war. Keine Raubtierart der Kata Tjuta grub nach ihrer Beute.
    Auch nicht der Owomba.
    Darauf konnte man sich verlassen. Nur deshalb waren die Schamanengeschichten angenehm Furcht erregend.
    Sie endeten auch immer mit einem Schutzgebet. Punta konnte sich noch gut daran erinnern, wie inständig der Stammesälteste zum Ahnen gesprochen hatte in der Nacht, als Taranay vergaß, eines der Schildkrötentore zu schließen und der schreckliche Owomba durch den Spalt starrte. Man konnte ihn schnaufen hören, und da war…
    Punta fuhr hoch.
    »Die Schildkrötentore!«, sagte er erschrocken. Er blickte nach Westen: Die Sonne zerfloss! Über ihr, im spektakulären Farbenspiel aus Rot und Gold, war ein merkwürdiger Vogel unterwegs. Er musste riesig groß sein, nach dem weichen Auf und Ab der Schwingen zu urteilen, und er kam genau auf Punta zu. Der Junge kniff die Augen zusammen. War das wirklich ein Vogel? Und was bewegte sich da unter seinem Bauch…?
    »Weg hier!«, murmelte er, packte seine Beute und machte, dass er fort kam.
    ***
    »Diese Hitze geht mir auf die Nerven! Und der blöde Rochen stinkt wie tote Muscheln! Sag ihm, er soll damit aufhören, Grao!«, scholl es in fünfzig Metern Höhe durchs Abendrot.
    Grao’sil’aana schenkte sich die Antwort. Es wäre Energieverschwendung gewesen, auf Daa’tan zu reagieren. Der Junge hatte seit Tagen schlechte Laune, da konnte man tun, was man wollte, es änderte nichts. Also ignorierte er ihn; so ersparte er sich wenigstens freche Widerreden.
    Der Daa’mure blickte hinauf zu dem lebenden Schattenspender über seinem Kopf, der sich mit machtvollen Flügelschlägen vorwärts bewegte. Thgáan war lange verschollen gewesen, gefangen am Grund des Meeres. Nach seiner Befreiung hatte er Kontakt zum Sol aufgenommen, der ihn auf die Suche nach seinen beiden Kundschaftern schickte.
    (siehe MADDRAX 186 »Wächter der Stille«) Er war zu Grao’sil’aana und Daa’tan in einer Situation gestoßen, da sie seine Hilfe dringend benötigten. Nun war es vorbei mit der mühseligen Wanderung über verdorrtes Land unter sengender Sonne, vorbei auch mit den unablässigen, nervtötenden Fragen des Jungen: Wie weit ist es noch? Wann sind wir endlich da?
    Es ging zügig in Richtung Uluru, und zwar auf angenehme Weise! Geflogen wurde von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen; in geringer Höhe, um weitestgehend unbemerkt zu bleiben. Tagsüber rasteten Grao’sil’aana und Daa’tan an schattigen Plätzen, während Thgáan hoch in den Äther stieg.
    Grao’sil’aana nahm an, dass er von dort aus mit dem Sol kommunizierte. Es war wichtig, dass man am Kratersee erfuhr, was in Ausala – speziell am brennenden Felsen – geschah, denn der rote Monolith beherbergte möglicherweise eine fremde Macht, die gefährlich schien und erforscht werden musste. Sie zog wie magisch Telepathen aus aller Herren Länder an.
    Der Daa’mure schloss die Augen und hob das Gesicht in den Wind. Es tat so gut, den Wirtskörper entspannen zu können! Er musste sich nicht mehr durch scharfkantiges Savannengras kämpfen und auch keine albernen Blätterhütchen mehr flechten, um Daa’tan vor

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