Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
von ihnen wieder zu jenen Zeiten zurückkehren und unaufhörlich davon reden.
    Der Mann sagte, Unabhängigkeitskriege dauerten viele Jahre. Auch jetzt, 1955, würden wir noch um die Staatsgründung kämpfen. Staaten könnten nicht in Jahresfrist entstehen. Der Krieg, der 1920 in Jerusalem begonnen habe, ginge weiter und würde es noch viele Jahre tun. Mindestens hundert Jahre würde er dauern. Es gäbe Sicherheitsabkommen und Entspannung, aber immer noch keinen Frieden und keinen Staat und keine Zukunft und keine Ruhe. Mitnichten sei »das Land ruhig vierzig Jahre«, wie es im Buch der Richter heißt. Vierzig Jahre seien der Vorspann.
    Ich persönlich hielt den Krieg damals für beendet. Dachte, letzten Endes würden die Araber sich mit uns aussöhnen und wir uns mit ihnen, und wir würden, neben einem jordanischen oder sonstigen Staat, über viele Jahre in unserem Staat leben. Aber er ereiferte sich. Er behauptete, ich gäbe mich Illusionen hin. Er sagte, das biblische Wort Begida – Verrat – komme von Beged – Kleidungsstück – und das Wort Me’ila – Veruntreuung – im Talmud komme von Me’il – Jacke – und bei derlei chaotischen Wortfeldern sei alles ein und dasselbe. Mir fiel der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart ein, der sagte: »Das Auge, in dem ich Gott sehe, ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht.«
    Viele Jahre später, eigentlich erst vor kurzem, als ich schon betagt war und eine schwere Krankheit überstanden hatte, bat man mich, Schülern etwas vom Krieg zu erzählen. Sie waren jung und schön und hörten mir ziemlich ruhig zu, und sie sahen zart aus, hatten Armbänder und Ohrringe und Tattoos, und ich redete, und ehe ich wegging, blieb ich am Eingang der Schule stehen und sagte ihnen im Stillen, voll Trauer: »In deinem Blute lebe!«

Epilog
    Eines Tages rief mich ein Mann an und sprach in dem typischen heiseren Tonfall vieler alter und alteingesessener Israelis von dem Buch, das ich über den Krieg geschrieben hatte. Er erklärte, es gibt da einen Mann namens Jecheskel, der sagt, ihr hättet zusammen gekämpft. Er lebt allein, sehr zurückgezogen, und er möchte, dass du ihn besuchst. Ich bring dich hin. Wann? Freitagmorgen um neun Uhr.
    Ich wollte nicht. Es war schrecklich heiß. Mein Computer streikte. Das Telefon ging nicht richtig. Ich wollte den Mann, der mich abholen sollte, kontaktieren, erreichte ihn aber nicht. Und nun war es schon Morgen, eine Gluthitze, und der Mann klingelte an der Haustür und sagte, er warte draußen auf mich. Ich erklärte ihm, ich sei schwach. Ich wusste nicht, wie ich mich rausreden sollte, doch der Alte sagte höflich, aber bestimmt: Du kommst mit! So ging ich notgedrungen hinaus. Er stand neben seinem Wagen, hatte weißes Haar, war nicht so alt wie ich, aber jung auch nicht gerade, war redegewandt und stand sichtlich mit beiden Beinen in seiner Zeit.
    Wir fuhren ab. Die Strecke bot nichts Besonderes, bis wir an die Nachschon-Kreuzung kamen. Dort musste ich an die Frau mit den großen Brüsten denken, die früher in dem Kiosk bediente, an dem alle Fahrer, die die alte Straße nach Jerusalem fuhren, anhielten, um das Busenwunder zu bestaunen und sich einen Kaffee und einSandwich zu kaufen. Danach begann die gezähmte Öde der Lachisch-Region in der trockenen Jahreszeit, und wir bogen ab auf eine holprige Landstraße. Wir passierten drei, vier Moschawim mit archaischen Namen, einen Bahnübergang, an dem der Zug am Vortag ein Auto erfasst hatte, und fuhren weiter bis zum Kibbuz Gat, wo wir erneut abbogen und an ein oder zwei Moschawim mit nie gehörten Namen vorbeikamen, ehe die Asphaltstraße in einen Feldweg mündete. Er führte durch weites Land, zwischen grünen Baumwollfeldern und vielen Bäumen hindurch, Olivenbäumen, kein Mensch war zu sehen, keine lebende Seele, alles nur dröhnende Leere in der prallen Sonne, wohl an die vierzig Grad war es heiß. Wir holperten und schlingerten über den Feldweg, bis wir schließlich im Nirgendwo eine Betonhütte erblickten, flankiert von einem riesigen Dieselbehälter und einem bellenden Schäferhund.
    Wir stiegen aus, fanden einen Tisch mit Stühlen unter einem ausladenden Baum. Aus einiger Entfernung war ein Geräusch zu hören, vielleicht eine Bewässerungsanlage. An die acht Männer trafen ein, zumeist Anfang siebzig. Wir setzten uns, nickten einander zu und lächelten. Vom Himmel aus wirkten wir sicher wie Verschwörer, vielleicht mit der Neugründung der Palmach beschäftigt. Geheime Machenschaften

Weitere Kostenlose Bücher