1948 - Roman
und pries seine Waren auf Jiddisch an, und einer stand auf und rief ihm Sabon – Seife – nach, und ich, der ich noch nie jemanden geschlagen hatte, außer einen Jugoslawen, der in Colonia mit dem Messer auf mich losgegangen war, trat auf den Schreihals zu und verpasste ihm ein paar Mordsschläge. Er schrie: »Was hast du denn? Schau ihn dir doch an, ist er etwa keine Seife?« Und ich prügelte weiter auf ihn ein, bis sie mich wegzogen und mit Wasser übergossen und fertig.
Wir lachten viel, waren aber traurig und verloren. Der Krieg ging im Negev weiter. Wir schlenderten von der Strandpromenade die Allenby-Straße rauf, um beim Jemeniten in der Ge’ula-Straße zu Mittag zu essen, und danach bummelten wir langsam zur Dizengoff-Straße und setzten uns ins Café Pinati, Ecke Frischmann-Straße, und wieder ein paar Stunden später zogen wir weiter ins Literaten-Café Kassit, wo wir die Nacht durchmachten. Mit von der Partie war ein massiger Typ namens Presser. Er näselte, machte sich über alle Welt lustig und zeigte uns, was für ein gestandener Mann er doch war. Manchmal verschwand er, und als wir ihm mal nachspionierten, entdeckten wir, dass dieser mächtige Schuppendrache unter einem Balkon in der Frug-Straße stand und mit hübscher, kindlicher Stimme »Zippi! Zippi!« rief, weil er eine gewisse Zippi liebte, die dicke, rote Haare hatte. Wir beneideten ihn, weil er eine Frau liebte und sie ihn offenbar auch. Sie spielte die schwer zu Kriegende, was damals häufig war, denn eine Frau musste erobert werden wie ein arabisches Dorf, und später haben sie tatsächlich geheiratet. Haben das ganze Leben zusammengelebt. Er war Lastwagenfahrer, ein umgänglicher Mensch, und sang das »Schoschana, Schoschana, Schoschana« in fast lyrischem Ton.
22
Ich wollte ein Mädchen. Die Mädels, die ich vorher gekannt hatte, glaubten, sie könnten von einem Kuss schwanger werden. Ich wollte eine Frau küssen, nachdem ich Männer getötet hatte. Einmal stand ich nachts auf der Strandpromenade, und neben mir stand eine Frau. Sie roch nach Wäscheseife und irgendwie süßlich. Wir drehten uns einander zu, und plötzlich, wie auf Verabredung, küssten wir uns. Wir hielten uns an den Händen und gingen rauf zum Excelsior, einem kleinen Hotel für Soldaten in der Hajarkon-Straße, und nahmen ein Zimmer. Ich bat um ein Babybett. Mein Gipsbein erfüllte seinen Zweck, und die Angestellte brachte das Bettchen herein. Wir rückten es unter das Fenster zum Meer. Es war nett dort. Sie brachte mir alles bei, was ich noch nicht wusste. Ich liebte sie leidenschaftlich. Sie konnte kaum Hebräisch. Murmelte auf Polnisch. Sie war schön und traurig, dachte, ich wäre ein deutscher Offizier, ging zu Boden und schluchzte und schrie was auf Deutsch, und dann waren wir wieder zusammen, und so ging die Nacht vorüber. Dem Baby, das dieser Liebe entspringen würde, gaben wir schon einen Namen, aber ich habe ihn nicht mehr in Erinnerung. Und dann brach der Morgen an. Ich wollte ihren Namen wissen und ihr meinen Namen sagen, aber nach einer ganzen Liebesnacht war das schwierig.
Wir gingen hinaus und um die Ecke zur Ben-Jehuda-Straße.Stadtbusse und Pferdewagen und ein paar Autos waren schon unterwegs. An der Ecke stand ein alter Kiosk, und der Mann dort kannte mich und verkaufte ihr und mir ein Brötchen und holte eine Kanne hervor und schenkte uns schwarzen Kaffee ein, und wir tranken und küssten uns, und ohne nachzudenken, ging ich die Ben-Jehuda-Straße hinauf zu meinem Elternhaus. Kurz darauf erinnerte ich mich wieder und blickte mich um, völlig verwirrt. Sie war konsterniert stehengeblieben, schien mich plötzlich zu verachten oder zu hassen, und ich wusste nicht, warum. Sie sah zornig aus. Mir war so wohl, dass ich ihr liebevoll zulächelte, und als ich weiterging, fiel mir plötzlich ein, dass ich tatsächlich nicht wusste, wer sie war und wie ich sie wiederfinden sollte, und da machte ich kehrt. Menschenmassen strömten jetzt zur Arbeit. Sie verschwand zwischen ihnen, und ich wollte ihr nachlaufen, sah sie auch von weitem, aber der Gips behinderte mich. Sie entschwand meiner Sicht. Über einen Monat durchstreifte ich die Stadt auf der Suche nach meiner Geliebten und fand sie nicht. Bis heute, zweiundsechzig Jahre später, weiß ich nicht, wer sie war, wie sie hieß, woher sie stammte, ob sie aus einem Lager gekommen war. Ich liebte sie, bis die Liebe verebbte. Ich verliebte mich jeden Tag in eine andere, aber keine von ihnen war die Mutter
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