196 - Das Schwert des Druiden
fertig war«, fuhr Huntington fort. »Wahrscheinlich sehen Sie Jennifer mit anderen Augen. Sie finden das Bild wahrscheinlich häßlich, aber man darf einen Menschen nicht nach seinem Äußeren beurteilen. Das ist nicht fair. Man muß erst seine inneren Werte kennen, bevor man sich entscheidet, ob man ihn schön oder häßlich findet.
Jennifer trug die Schönheit in reichem Maße in sich. An ihrem wenig gewinnenden Aussehen stieß ich mich nicht. Sie war für mich die aufregendste Frau, der ich je begegnet bin. Deshalb traf es mich besonders hart, als sie nach wenigen Jahren des Glücks von mir ging.«
»Woran ist sie gestorben?« erkundigte sich Daryl.
»Sie stürzte eines Nachts auf der Treppe zu Tode. Der Schmerz über ihren Tod raubte mir fast den Verstand.«
Nur fast? dachte ich. Irgend etwas stimmte tatsächlich nicht mit diesem Mann.
»Für mich ist Jennifer nicht tot«, sagte er und hob trotzig den Kopf. »Für mich lebt sie nach wie vor. Ich kann sie sehen, wann immer ich will, kann mit ihr sprechen. Sie kommt zu mir, wenn ich es möchte, und wir lachen, essen und trinken und reden über vergangene Zeiten. Jennifer hat ein großartiges Gedächtnis. Sie kann sich noch an alles erinnern, was am Beginn unserer Ehe. war. Selbstverständlich hat sie sich verändert. Die Zeit ging auch an ihr nicht spurlos vorüber. Sie hat Probleme mit dem Magen, verträgt nicht mehr alles. Ich muß darauf achten, ihr das richtige vorzusetzen, schließlich soll sie sich bei mir ja wohlfühlen.«
Daryl Crenna warf mir einen vielsagenden Blick zu. Ich nickte kaum merklich. Steward Huntington war verrückt. Er lebte in dem Wahn, seine Frau wäre noch da.
Der Mann war zum Glück harmlos, und er pflegte seine Verrücktheit in dieser Abgeschiedenheit, als wüßte er, was er seinen Mitmenschen schuldig war.
War Jennifer Huntington tatsächlich innerlich so edel und rein gewesen? Ich konnte es nicht recht glauben. Das Wesen eines Menschen prägt zumeist sein Aussehen.
Wenn das auch bei Jennifer der Fall gewesen war, hätte ich ihr zu Lebzeiten nie den Rücken zugekehrt. Sie sah grausam, gemein und hinterhältig aus.
Wir gingen weiter, und ich hatte das unangenehme Gefühl, Jennifer Huntington würde uns nachsehen. Glaubte ihr Mann deshalb, sie würde noch leben, weil der Künstler sie so gemalt hatte, daß sie einen immer anzuschauen schien, egal, von wo aus man sie betrachtete?
In einem schummrigen Raum im Obergeschoß zeigte uns Huntington dann nicht nur das Schwert des Druiden, sondern auch die kunstvoll mit Goldfäden bestickte Kleidung, die dieser Mann einst getragen hatte.
Ein durchbrochener Goldgürtel gehörte ebenso dazu wie ein schlichter, fast bodenlanger Umhang mit einer einfachen Metallschließe.
Wir schenkten der Bekleidung wenig Beachtung. Unser Interesse galt dem Geisterschwert, einer prächtigen Waffe, deren gerade Klinge kunstvoll verziert war.
Allein vom Optischen her schien das Schwert etwas Besonderes zu sein. Daryl Crenna fragte, ob er die Waffe mal in die Hand nehmen dürfe.
Huntington hatte? nichts dagegen. Mein Freund nahm das Zauberschwert von der Wand und drehte und wendete es neugierig. »Befinden sich tatsächlich Zauberkräfte darin?« fragte Pakka-dee gespannt.
»Sagenhafte Kräfte sogar«, behauptete Steward Huntington.
»Wieso spüre ich sie nicht?«
»Im Moment wirkt der Zauber nicht.«
»Muß man ihn aktivieren?«
»Ja«, antwortete Huntington. »Aber das geht nur, wenn man die Kleidung des Druiden trägt. Wenn man sich dann auf das Schwert konzentriert, offenbart sich der Zauber.«
Ich berührte die Waffe mit meinem magischen Ring. Nichts passierte. Weil Druidenkleid und Druidenschwert eine Einheit bildeten. Erst wenn man sie miteinander verband, wurde der Zauber ›lebendig‹.
»Haben Sie den Zauber schon einmal benutzt?« fragte Daryl Crenna.
»O ja«, antwortete Huntington und nickte begeistert.
»Und was passierte?«
»Oh, es war ein einmaliges, unvergeßliches Erlebnis für mich«, schwärmte Steward Huntington.
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie bitten würde…«
»Sie möchten das Gewand des Druiden anziehen? Von mir aus. Aber es ist staubig.«
»Das stört mich nicht«, sagte Daryl aufgeregt.
Ich wunderte mich immer mehr über Huntingtons entgegenkommende Art. Hatte er ausgerechnet heute das Alleinsein satt? War er deshalb so freundlich?
Er sagte, ganz besonders würde sich der Zauber unter freiem Himmel entfalten. Ich war Daryl beim Anziehen behilflich.
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