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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Angst, des Verrats und der Qualen, eine Welt des Tretens und Getretenwerdens, eine Welt, die nicht weniger unerbittlich, sondern immer unerbittlicher werden wird, je weiter sie sich entwickelt. Fortschritt in unserer Welt bedeutet Fortschreiten zu größerer Pein. Die alten Kulturen erhoben Anspruch darauf, auf Liebe oder Gerechtigkeit gegründet zu sein. Die unserige ist auf Haß gegründet. In unserer Welt wird es keine anderen Gefühle geben als Haß, Wut, Frohlocken und Selbstbeschämung. Alles andere werden wir vernichten – und zwar alles. Wir merzen bereits die Denkweisen aus, die noch aus der Zeit vor der Revolution stammen. Wir haben die Bande zwischen Kind und Eltern, zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mann und Frau durchschnitten. Niemand wagt es mehr, einer Gattin, einem Kind oder einem Freund zu trauen. Aber in Zukunft wird es keine Gattinnen und keine Freunde mehr geben. Die Kinder werden ihren Müttern gleich nach der Geburt weggenommen werden, so wie man einer Henne die Eier wegnimmt. Der Geschlechtstrieb wird ausgerottet. Die Zeugung wird eine alljährlich vorgenommene Formalität wie die Erneuerung einer Lebensmittelkarte werden. Wir werden das Wollustmoment abschaffen. Unsere Neurologen arbeiten gegenwärtig daran. Es wird keine Treue mehr geben, außer der Treue gegenüber der Partei. Es wird keine Liebe geben, außer der Liebe zum Großen Bruder. Es wird kein Lachen geben, außer dem Lachen des Frohlockens über einen besiegten Feind. Es wird keine Kunst geben, keine Literatur, keine Wissenschaft.
    Wenn wir allmächtig sind, werden wir die Wissenschaft nicht mehr brauchen. Es wird keinen Unterschied geben zwischen Schönheit und Häßlichkeit. Es wird keine Neugier, keine Lebenslust geben. Alle Freuden des Wettstreits werden ausgetilgt sein. Aber immer – vergessen Sie das nicht, Winston – wird es den Rausch der Macht geben, die immer mehr wächst und immer raffinierter wird. Dauernd, in jedem Augenblick, wird es den aufregenden Kitzel des Sieges geben, das Gefühl, auf einem wehrlosen Feind herumzutrampeln.
    Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft ausmalen wollen, dann stellen Sie sich einen Stiefel vor, der in ein Menschenantlitz tritt – immer und immer wieder.«
    Er verstummte, so als erwarte er, daß Winston etwas sagen würde. Winston versuchte sich in die Oberfläche seines Streckbettes zu verkriechen. Er brachte kein Wort hervor. O'Brien fuhr fort:
    »Und vergessen Sie nicht, daß das für immer gilt. Das Gesicht zum Treten wird immer da sein. Den Ketzer, den Feind der Gesellschaft, wird es immer geben, so daß er immer wieder besiegt und gedemütigt werden kann. Alles, was Sie durchgemacht haben, seitdem Sie uns in die Hände gerieten – alles das wird weitergehen, und noch schlimmer. Die Bespitzelung, der Verrat, die Verhaftungen, die Folterungen, die Hinrichtungen, die Verschleppungen werden nie aufhören. Es wird sowohl eine Welt des Schreckens als des Triumphes sein. Je mächtiger die Partei ist, desto weniger duldsam wird sie sein: je schwächer die Opposition, desto unerbittlicher die Gewaltherrschaft. Goldstein und seine Irrlehren werden ewig in der Welt sein. Jeden Tag, jeden Augenblick werden sie zunichte gemacht, beschimpft, verlacht, bespuckt werden – und doch werden sie immer bleiben. Das Drama, das ich mit Ihnen sieben Jahre hindurch aufgeführt habe, wird wieder und wieder, Generation um Generation, in immer raffinierteren Formen gespielt werden.
    Immer werden wir den Abtrünnigen auf Gnade oder Ungnade uns hier ausgeliefert haben, wie er vor Schmerz schreit, schwach und verräterisch wird – um am Schluß rückhaltlos bereuend, vor sich selbst gerettet, aus eigenem Antrieb uns vor die Füße zu kriechen. Diese Welt streben wir an, Winston. Eine Welt, in der Sieg auf Sieg, Triumph auf Triumph folgt: ein nicht endender Kitzel des Machtnervs. Wie ich sehen kann, fangen Sie zu begreifen an, wie diese Welt aussehen wird. Aber am Schluß werden Sie mehr tun, als sie nur begreifen. Sie werden sie begrüßen, sie willkommen heißen, sich zu ihr bekennen.«
    Winston hatte sich genügend erholt, um sprechen zu können. »Das könnt ihr nicht!« sagte er schwach.
    »Was wollen Sie mit dieser Bemerkung sagen, Winston?«
    »Ihr könnt keine solche Welt schaffen, wie Sie sie soeben geschildert haben.«
    »Warum?«
    »Es ist unmöglich, eine Kultur auf Furcht, Haß und Grausamkeit aufzubauen. Sie würde nie Bestand haben.«
    »Warum nicht?«
    »Sie hätte keine

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