1984
Wachposten ging hinter ihm drein. Das langerhoffte Geschoß drang ihm in sein Gehirn.
Er blickte hinauf zu dem riesigen Gesicht. Vierzig Jahre hatte er gebraucht, um zu erfassen, was für ein Lächeln sich unter dem dunklen Schnurrbart verbarg. O grausames, unnötiges Mißverstehen! O
eigensinniges, selbst auferlegtes Verbanntsein von der liebenden Brust! Zwei nach Gin duftende Tränen rannen an den Seiten seiner Nase herab. Aber nun war es gut, war alles gut, der Kampf beendet. Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder.
E N D E
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George Orwell – 1984
Kleine Grammatik
Die Neusprache war die in Ozeanien eingeführte Amtssprache und zur Deckung der ideologischen Bedürfnisse des Engsoz erfunden worden. Sie hatte nicht nur den Zweck, ein Ausdrucksmittel für die Weltanschauung und geistige Haltung zu sein, die den Anhängern des Engsoz allein angemessen war, sondern darüber hinaus jede Art anderen Denkens auszuschalten. Wenn die Neusprache erst ein für allemal angenommen und die Altsprache vergessen worden war (etwa im Jahre 2050), sollte sich ein unorthodoxer
– d. h. ein von den Grundsätzen des Engsoz abweichender Gedanke – buchstäblich nicht mehr denken lassen, wenigstens insoweit Denken eine Funktion der Sprache ist. Der Wortschatz der Neusprache war so konstruiert, daß jeder Mitteilung, die ein Parteimitglied berechtigterweise machen wollte, eine genaue und oft mehr differenzierte Form verliehen werden konnte, während alle anderen Inhalte ausgeschlossen wurden, ebenso wie die Möglichkeit, etwa auf indirekte Weise das Gewünschte auszudrücken. Das wurde als durch die Erfindung neuer, hauptsächlich aber durch die Ausmerzung unerwünschter Worte erreicht, und indem man die übriggebliebenen Worte so weitgehend wie möglich jeder unorthodoxen Nebenbedeutung entkleidete. Ein Beispiel hierfür: das Wort frei gab es zwar in der Neusprache noch, aber es konnte nur in Sätzen wie »Dieser Hund ist frei von Flöhen«, oder »Dieses Feld ist frei von Unkraut« angewandt werden. In seinem alten Sinn von »politisch frei« oder »geistig frei« konnte es nicht gebraucht werden, da es diese politische oder geistige Freiheit nicht einmal mehr als Begriff gab und infolgedessen auch keine Bezeichnung dafür vorhanden war.
Die Neusprache war auf der vorhandenen Sprache aufgebaut, obwohl viele Neusprachsätze, auch ohne neu erfundene Worte zu enthalten, für einen Menschen des Jahres 1950 kaum verständlich gewesen wären.
Der Wortschatz war in drei deutlich abgegrenzte Klassen eingeteilt, die im folgenden gesondert behandelt werden. Für die rein grammatikalischen Besonderheiten gilt jedoch das unter Wortschatz A Gesagte für alle drei Kategorien.
Der Wortschatz A bestand aus den für das tägliche Leben benötigten Worten – für Dinge wie Essen, Trinken, Arbeiten, Anziehen, Treppensteigen, Eisenbahnfahren, Kochen u. dgl. Er war fast völlig aus bereits vorhandenen Worten zusammengesetzt, wie schlagen, laufen, Hund, Baum, Zucker, Haus, Feld – aber mit dem heutigen Wortschatz verglichen, war ihre Zahl äußerst klein und ihre Bedeutung viel strenger umrissen. Sie waren von jedem Doppelsinn und jeder Bedeutungsschattierung gereinigt. Es wäre ganz unmöglich gewesen, sich des Wortschatzes A etwa zu literarischen Zwecken oder zu einer politischen oder philosophischen Diskussion zu bedienen. Er war nur dazu bestimmt, einfache, zweckbestimmende Gedanken auszudrücken, bei denen es sich gewöhnlich um konkrete Dinge oder physische Vorgänge handelte.
Ein Merkmal der Neusprach-Grammatik war die fast vollständige Austauschbarkeit unter den verschiedenen syntaktischen Bestandteilen. Jedes Wort konnte sowohl als Zeit-, Haupt-, Eigenschafts- oder Umstandswort verwendet werden. Zeit- und Hauptwort hatten dieselbe Form, wenn sie die gleiche Wurzel hatten, ja selbst wo kein etymologischer Zusammenhang vorhanden war. Es gab zum Beispiel kein Wort für schneiden, da seine Bedeutung schon hinreichend durch das Hauptwort Messer gedeckt war.
Eigenschaftsworte wurden gebildet, indem man dem Hauptwort die Nachsilbe -voll , Umstandsworte, indem man -weise anhängte.
Jedes Wort konnte durch Voranstellung von un- in sein Gegenteil umgewandelt oder durch die Voranstellung von plus- oder von doppelplus- gesteigert werden. So bedeutete beispielsweise unkalt »warm«, während pluskalt oder doppelpluskalt »sehr kalt« oder »überaus kalt« bedeuteten. Auch war es möglich, die Bedeutung fast
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